Zeit als neuer Wohlstand

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Unter welchen Bedingungen führt eine Reduktion der Erwerbsarbeitszeit zu einem nachhaltigeren Lebensstil? Welche Auswirkungen hat eine solche Reduktion der Arbeitszeit aufs Wohlbefinden der Arbeitnehmenden? Was bedeuten flexiblere Arbeitsmodelle für die betroffenen Betriebe? Und welche ökonomischen, rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen gilt es zu beachten? Diesen und weiteren Fragen geht das Forschungsprojekt  «Zeit als neuer Wohlstand: Reduktion der Erwerbsarbeit zur Förderung suffizienter Lebensstile?» auf den Grund.

Forschungslücke schliessen

In der Debatte um die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft ist die Reduktion der Erwerbsarbeitszeit vermehrt in den Vordergrund getreten. Denn eine solche könnte zu einem suffizienteren Lebensstil beitragen. Studien auf der Makroebene in verschiedenen Ländern zeigen: Tiefere Erwerbsarbeitszeiten gehen mit einer geringeren Umweltbelastung einher. Empirische Studien sind jedoch bisher rar, welche die Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren untersuchen:

  • Höhe der Erwerbsarbeit
  • Konsummuster und damit den Auswirkungen einer Person auf die Umwelt
  • individuelle Zufriedenheit

Das Projekt setzt hier an und erforscht mit verschiedenen methodischen Zugängen, welchen Beitrag eine Reduktion der Erwerbsarbeitszeit im Schweizer Kontext leisten kann, um die konsumbedingte Umweltbelastung zu verringern – und dies bei gleichbleibender oder erhöhter Zufriedenheit der betreffenden Person.

Wichtigste Resultate


Weniger Arbeit bedeutet meistens ein geringeres Einkommen, dafür mehr Zeit, die nicht durch Erwerbsarbeit gebunden ist. Bisherige Studien gingen davon aus, dass insbesondere der Einkommenseffekt – d.h. das verminderte Einkommen – konsumbedingte positive Auswirkungen auf die Umwelt hat. Diese werden jedoch durch die Umweltbelastung von mehr Freizeitaktivitäten teilweise kompensiert.

Die im Projekt geführten Interviews mit Personen, die ihre Arbeitszeit reduziert hatten, zeigten, dass für die Umwelt förderliche Veränderungen im Lebensstil vor allem dann zu erwarten sind, wenn die freiwerdende Zeit bereits verplant war, z.B. durch Elternschaft, Weiterbildung oder soziales Engagement, etc. Ein Mehrkonsum ist hingegen bei Menschen zu vermuten, die ihre Arbeitszeit zur Stressminderung reduzieren und somit effektiv mehr Freizeit gewinnen.


Geringeres Einkommen – suffizientere Konsumstile

Wie unterscheiden sich nun die Konsumstile von Teilzeit- und Vollzeitarbeitenden? Eine im Projekt gross angelegte Studie bestätigte die Wichtigkeit des Einkommenseffekts: Arbeitnehmende mit tieferer Erwerbsarbeitszeit zeigen bei verschiedenen Indikatoren suffizientere Konsumstile. Diese lassen sich mehrheitlich durch das geringere Einkommen erklären – namentlich bei den Ausgaben für Kleidung, der Grösse des Wohnraums, der Häufigkeit von Flugreisen und alle zurückgelegten Wege mit dem Auto.

Auch pendeln Teilzeitarbeitende seltener mit dem Auto zur Arbeit, allerdings nicht wegen des geringeren Einkommens, sondern dank mehr Zeit.


Die Studie gab auch Aufschluss darüber, was sich verändert, wenn Menschen ihr Arbeitspensum reduzieren. Indikatoren des Wohlbefindens – vor allem die Lebenszufriedenheit kurzfristig, aber auch stressbedingte Burnout-Symptome kurz- und mittelfristig – verbesserten sich nach einer Erwerbsarbeitszeitreduktion. Die Studie zeigte zudem, dass sich für diese Teilnehmenden die Pendelzeit im Auto verringerte und das umweltfreundliche Verhalten erhöhte – beides Indikatoren, die sich eher auf einen Zeit- denn auf einen Einkommenseffekt zurückführen lassen. Ferner reduzierten sich wegen des geringeren Einkommens die konsumbedingten Ausgaben für Kleidung.

Weniger Autopendeln – höheres Wohlbefinden

Andere Indikatoren, die hinsichtlich Umweltbelastung ziemlich ins Gewicht fallen, blieben im Beobachtungszeitraum von neun Monaten trotz verringerter Erwerbsarbeitszeit stabil, namentlich allgemeine Autofahrten, Flugreisen und Grösse des Wohnraums. Daraus lässt sich schliessen, dass diese u.a. strukturell bedingten Verhaltensweisen wenig volatil sind und mögliche Effekte einer Erwerbsarbeitszeitreduktion erst in einem länger angelegten Zeithorizont beobachtet werden müssten.

Allerdings ist der positive Effekt geringerer mit dem Auto zurückgelegter Arbeitswege besonders interessant. Denn so lässt sich nicht nur die ökologische Belastung senken, sondern auch das Wohlbefinden steigern. Nicht zuletzt zeigten die Ergebnisse, dass viele Arbeitnehmende gerne weniger arbeiten würden.


Basierend auf einer ausführlichen Literaturanalyse und konzeptueller Arbeit wurden im Projekt Implikationen einer Erwerbsarbeitszeitreduktion für die Schweiz erarbeitet.

  • Eine Schlüsselerkenntnis ist: Bei einer Umsetzung müssen ökologische, soziale und ökonomische Effekte einer Arbeitszeitreduktion sorgfältig abgewogen und Kompromisse gefunden werden. Eine Möglichkeit, die sowohl ökologische als auch soziale Effekte einer Erwerbsarbeitszeitreduktion aufeinander abstimmt, bietet ein abgestufter Lohnausgleich. So würden Arbeitnehmende mit tiefen Einkommen nicht durch zusätzliche Lohneinbussen belastet. Vielmehr würde die Massnahme insbesondere bei Arbeitnehmenden der hohen Einkommensklassen ansetzen, die aus ökologischer Sicht Hauptverursachende sind.
Quelle: Bader et al. 2020

 

  • Die zweite Schlüsselerkenntnis ist: Es gibt vielfältige mögliche Begleitmassnahmen, die langfristig zu einer verkürzten Vollzeitarbeit führen könnten, und die unterschiedliche Akteur*innen in Angriff nehmen können.
  • Die dritte Schlüsselerkenntnis lautet: Eine Knacknuss und gleichzeitig eines der grössten Bedenken liegt bei verschiedenen Akteur*innen in der Finanzierbarkeit einer Erwerbsarbeitszeitreduktion.

Sowohl für die Frage der konkreten Ausgestaltung wie auch der Finanzierbarkeit konnte das Projekt erste Handlungsstrategien identifizieren, sie aber nicht abschliessend beantworten. Hier besteht grosser Forschungsbedarf, den auch verschiedene Akteur*innen artikulierten, mit denen die Ergebnisse diskutiert wurden.

In einer Literaturreview wird die ökologischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen unterschiedliche Varianten der Ausgestaltung einer Erwerbsarbeitszeitreduktion untersucht.


In einer Begleitstudie evaluierten Forschende des CDE die Wirkung der Arbeitszeitreduktion am GZO Spital Wetzikon auf die Mitarbeitenden. Das GZO Spital Wetzikon führte auf Anfang Juni 2022 ein neues Arbeitszeitmodell (AZM) für einen Teil seiner Belegschaft ein. Dieses neue Modell beinhaltete eine Reduktion der wöchentlichen Normarbeitszeit um 10 Prozent bei gleichbleibendem Lohn und betrifft Pflegefachpersonen, die drei Schichten (Früh-, Spät- und Nachtdienst) arbeiten.

Um die Wirkung der Einführung des AZM auf Veränderungen im Erleben, Bewerten und Verhalten der Arbeitnehmenden zu verfolgen, implementierten die Forschenden ein längsschnittliches Befragungsdesign mit Kontrollgruppe (ein sogenanntes quasi-experimentelles Design).

Die Angestellten wurden zu drei Zeitpunkten mittels Onlinefragebogen befragt. Die Ergebnisse zeigen für die vom AZM betroffenen Mitarbeitenden messbare Verbesserungen in Gesundheit, Wohlbefinden und Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen im Vergleich zur Kontrollgruppe. Die Auswertungen geben hingegen keine Hinweise auf Veränderungen bei umweltrelevanten Verhaltensweisen.

Die Ergebnisse legen nahe, dass Arbeitszeitverkürzungen eine wirksame Möglichkeit darstellen können, um die Belastung der Mitarbeitenden zumindest teilweise abzufedern, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Arbeitszeitverkürzungen alleine werden die prekäre Situation im Pflegebereich jedoch nicht entschärfen. Vielmehr sollten sie als eine Massnahme in einem möglichen Massnahmenpaket verstanden werden, um den Berufsalltag für die Betroffenen wieder attraktiv und für die Betriebe tragbar zu gestalten.

Die Resultate der Begleitstudie sind im Working paper "Wohlbefinden und Ökologie durch mehr Zeit" zusammengefasst (siehe Infobox). Die Medienmitteilung dazu wurde am 21. Februar veröffentlicht.

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Weniger arbeiten, zufriedener leben

«Erstaunlich ist, dass die Leute trotz des Einkommensverlusts nicht weniger zufrieden waren als mit mehr Geld»: CDE-Wissenschaftlerin Stephanie Moser zu Studienresultaten über die freiwillige Arbeitszeitreduktion.
Datum: 5.11.2022 | Quelle: Hauptstadt

Junge Grüne fordern 24-Stunden-Woche – das wirft Fragen auf

Weniger arbeiten, gleich viel verdienen: Die Forderungen nach einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit mehren sich. Doch wie realistisch sind sie? Zwei Experten - darunter Christoph Bader vom CDE - sagen, was uns bevorsteht.
Datum: 15.8.2022 | Quelle: Watson

Die Freizeit ist reif

Weniger arbeiten und damit Gutes für Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft tun – klingt zu schön, um wahr zu sein? Wissenschaftler*innen des CDE, Universität Bern zeigen: Eine andere Arbeitswelt wäre möglich. 
Datum: 21.4.2022 | Quelle: Das Lamm

Weniger arbeiten – Klimakrise bekämpfen

Wenn wir mit immer weniger Arbeit immer mehr produzieren und gleichzeitig beim gleichen Arbeitspensum bleiben, würden Produktion und Umweltbelastung deutlich steigen, so Sebastian Neubert, wissenschaftlicher Mitarbeiter am CDE, im Interview zu den Wechselwirkungen von Arbeit und Nachhaltigkeit. Gleichzeitig führe die viele Arbeit insbesondere in der Schweiz zu immer höheren Einkommen, die ihrerseits den Konsum ankurbeln würden und damit auch die Umweltbelastung.
Datum: 7.4.2022 | Quelle: Radio Rabe

Travailler moins, pour le mieux

Une réduction du temps de travail profiterait à notre bien-être, à la planète et à l’économie, selon une étude du CDE.
Datum: 7.4.2022 | Quelle: Le Courrier

Mit mehr Freizeit gegen die Klimakrise

Kürzere Arbeitszeiten dienen dem Klima. Zumindest ein Teil des Effekts hat laut CDE-Wissenschaftlerin Stephanie Moser damit zu tun, dass die Einkommen sinken würden – denn Grossverdienende verursachen im Schnitt besonders viele Treibhausgasemissionen. Die Forschenden des CDE schlagen deshalb vor, dass nur die hohen Einkommen sinken sollen.
Datum: 1.4.2022 | Quelle: Aargauer Zeitung, Oltener Tagblatt, Limmattaler Zeitung

Um genügsam zu werden, müssen wir wissen, was uns gut tut

Wie kann man ein suffizientes Leben schmackhaft machen? - Auf diese Frage antwortet Stephanie Moser vom CDE: «Auf der einen Seite, indem wir unsere Lebenswelten neu arrangieren: Wie wir unsere Wohnungen bauen, unsere Quartiere gestalten, welche Angebote uns in Läden zur Verfügung stehen oder wie mobil wir sind. Andererseits hängt Suffizienz stark damit zusammen, wie viel Zeit wir haben, um zu reflektieren, was uns gut tut.»
Datum: 27.3.2022 | Quelle: Radio SRF

«Vom Hamsterrad in die Hängematte» oder «Freedays for Future»

Weniger arbeiten und mehr Zeit haben, um Angehörige zu betreuen, Hobbys zu pflegen oder für ein Freiwilligenamt, das liegt im Trend. Teilzeitarbeit und flexible Arbeitszeitmodelle sind gefragt. Mit CDE Wissenschaftlerin Stephanie Moser.
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Zeitwohlstand

Wie definieren und messen wir Wohlstand aktuell, und warum brauchen wir hier andere Konzepte? Wie steht es um unseren Zeitwohlstand, und wie können wir ihn vermehren? Welche wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Vorteile hätte eine Reduktion unserer Arbeitszeit, und wie liesse sie sich politisch erreichen? Die beiden CDE-Forschenden Stephanie Moser und Christoph Bader im Podcast-Interview.
Datum: 9.12.2020 | Quelle: Scientists for Future Podcast

«Free day for future» statt «Business as usual»

Kann mit einer generellen Reduktion der Erwerbsarbeit eine Verringerung der CO2-Emissionen, mehr Lebenszufriedenheit und eine funktionierende Wirtschaft erreicht werden? Ein CDE-Forschungsteam stellt erste Resultate dazu vor. (pp. 27-28)
Datum: 5.11.2020 | Quelle: Denknetz

Verkürzung der Erwerbsarbeitzeit als Win-win-win Lösung?

Eine Erwerbsarbeitszeitreduktion böte soziale, ökologische sowie ökonomische Vorteile. Auch für deren Finanzierung existieren realistische Lösungen, so die CDE-Wissenschaftler*innen Christoph Bader, Hugo Hanbury, Stephanie Moser und Sebastian Neubert in ihrem Beitrag. 
Datum: 19.8.2020 | Quelle: Ökonomenstimme

Zeit für Wandel. Mit weniger Arbeit in die Zukunft

Wir produzieren immer mehr mit immer weniger Arbeit. Statt mehr zu konsumieren, könnten wir als Gesellschaft unsere Arbeitszeit reduzieren. Dies könnte zudem noch positive Auswirkungen auf unser Wohlbefinden und das Klima haben, schreiben CDE-Wissenschaftler*innen in ihrem Beitrag im Pro Clim Flash Nr. 72.
Datum: July 2020 | Quelle: Pro Clim Flash