Interview: Gaby Allheilig
Sie haben zur Abholzung im Nordwesten Argentiniens geforscht. Was war die Motivation, gerade diese Region zu untersuchen?
Abholzung ist einer der grössten Treiber des Klimawandels; dabei denken alle an den Amazonas. Aber auch der Chaco – Südamerikas zweitgrösster Urwald – ist ein globaler Hotspot für Abholzung (siehe Box unten). Zumindest während meines PhD-Studiums wies insbesondere der Chaco Salteño im Nordwesten Argentiniens eine der höchsten Abholzungsraten weltweit auf. Zugleich prägen zahlreiche Landnutzungskonflikt die Region. Beides zusammen hat sie für die Forschung sehr interessant gemacht.
Worin bestehen diese Konflikte – und wer ist darin involviert?
Die wichtigsten Akteure in diesen Konflikten sind Kleinbauern, indigene Völker und Grossgrundbesitzer. Sie alle haben unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie man das Land am besten nutzen könnte bzw. sollte – und sie haben unterschiedliche Rechte daran. Die Kleinbauern nutzen den Wald für die Subsistenzlandwirtschaft, für sie bedeutet der Wald Heimat. Für die Indigenen wiederum ist der Wald ein zentraler Bestandteil ihrer Kultur und Identität, gehört also zu ihrem Leben, während er für die Grossgrundbesitzer ein Zeichen von Unterentwicklung, Armut und nicht genutztem wirtschaftlichen Potenzial ist. Da driften die Interessen stark auseinander.
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«In der Logik der Grossgrundbesitzer ist Wald nur negativ behaftet»
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Wieso ist Wald für die Vermögenden ein Zeichen für Armut und Unterentwicklung?
Die Menschen dort haben oft keinen Zugang zu fliessendem Wasser, Elektrizität und Bildung. Weit wichtiger dürfte aber sein, dass man vom Wald an sich keinen Profit erzielt. Holzt man den Wald jedoch ab und baut Soja an, hat man vor allem mit Gen-Soja ein riesiges Potenzial, innerhalb kürzester Zeit extrem hohe Profite zu erzielen. Das führt zur Absurdität, dass ein bewaldetes Stück Land weit weniger Wert hat als ein völlig abgeholztes, da man es erst noch roden muss. In dieser Logik ist Wald nur negativ behaftet.
Argentinien hat Gesetze erlassen, die den Indigenen Landrechte und -nutzungen garantieren. Und es hat ein Waldgesetz verabschiedet, das dessen Nutzung regelt und auch partizipative Prozesse dafür vorsieht. Eigentlich ist das ja ziemlich vorbildlich.
Das stimmt. Aber wenn man dabei die lokalen Gegebenheiten und vor allem die Machtstrukturen und Gerechtigkeitsaspekte nicht berücksichtigt, beseitigt man auch die Probleme nicht. In Salta besteht die Elite entweder aus Politikern oder Grossgrundbesitzern – oder beides zusammen. Da liegt das Problem.
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«Der partizipative Prozess hat zwar stattgefunden, aber das Resultat wurde unter den Teppich gekehrt»
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Will heissen?
Ein Beispiel: Um das Waldgesetz umzusetzen, wurde eine Landnutzungskarte erstellt. Der Prozess war wirklich sehr partizipativ gewesen – mit über 30 Meetings, an denen auch NGOs, Indigene, Wissenschaftler*innen, etc. beteiligt waren. Die so erarbeitete Karte war klasse. Sie zeigte in einer Art Ampelsystem, wo was gemacht werden durfte: Rot bedeutete Schutz vor Abholzung, Gelb einen Halbschutz für touristische Zwecke und bei Grün war das Land zur Abholzung freigegeben.
Die Grossgrundbesitzer hatten auch eine Landnutzungskarte erstellt. Sie bestand fast nur aus grünen Flächen. Die wenigen roten Stellen waren an Orten, wo man gar keine Landwirtschaft betreiben konnte. Der Kontrast zwischen den beiden Karten war so stark, dass kurz vor der Publikation der partizipativen Karte eine völlig neue aus dem Hut gezaubert wurde, die eine Art Mittelweg darstellt. Sie bestimmt nun, wie das Land in dieser Region genutzt werden kann. Das heisst: Der partizipative Prozess hat zwar stattgefunden, aber das Resultat wurde unter den Teppich gekehrt. Noch relevanter ist aber – und das unabhängig von der Karte: Über 50 Prozent der Abholzungen sind illegal.
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«Punkto Wirtschaft muss man sagen, wer profitiert und wer die Kosten dafür trägt»
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Ein zentraler Punkt Ihrer Arbeit ist das Konzept der Umweltgerechtigkeit: Diese sei ebenso wichtig für eine dauerhafte Lösung der Landnutzungskonflikte wie die Nachhaltigkeit. Worin besteht der Unterschied?
Umweltgerechtigkeit umfasst die Kategorien Anerkennung, Verteilung und gerechte Prozesse, während sich das klassische Nachhaltigkeitsverständnis durch die Kategorien Umwelt, Wirtschaft und Soziales definiert. In meiner Untersuchung hat sich beispielsweise gezeigt, dass die neoliberalen Entwicklungsszenarien für den Chaco gemäss Nachhaltigkeitskriterien gar nicht so schlecht abschnitten. Der Grund dafür war, dass die Bedürfnisse der indigenen und marginalisierten Bevölkerung nicht bedacht wurden. Wenn aber die lokale Bevölkerung nicht eingebunden ist, werden sie Veränderungen auch nicht akzeptieren.
Man muss also beides berücksichtigen: Umweltgerechtigkeit und Nachhaltigkeit?
Genau. Denn es reicht nicht, bei wirtschaftlichen Aspekten primär zu schauen, ob etwas profitabel ist oder nicht. Man muss auch sagen, wer profitiert und wer die Kosten dafür trägt. Es reicht auch nicht, einen radikalen Umweltschutz einzufordern, wenn man nicht bedenkt, wer dort lebt und betroffen ist. Und es reicht halt auch nicht, Gerechtigkeit als Unterkategorie von ‘Soziales’ abzuhandeln – in einer Welt, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht. Sonst geht das immer auf Kosten der Schwächeren und Machtlosen sowie der kommenden Generationen.
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«Kleinbauern und Indigene, die für ihre Landrechte einstehen, setzen ihr Leben aufs Spiel»
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Sie haben im Chaco nach den Konfliktlinien geforscht, aber auch versucht, unter den verschiedenen Akteuren Gemeinsamkeiten herauszuschälen. Sind Sie fündig geworden?
Ja. Es gab zwar deutlich mehr Punkte, bei denen die Akteure unterschiedliche Meinungen hatten, aber es gab auch einen gewissen Konsens darüber, dass es für die Landnutzung eine partizipative Langzeitplanung braucht. So waren sich etwa alle einig, dass die Regierung die realen Bedingungen und Bedürfnisse der Stakeholder nicht bedenkt. Alle sagten auch, Grossgrundbesitzer hätten besseren Zugang zu den öffentlichen Institutionen. Bei den Gründen dafür gingen die Meinungen allerdings wieder weit auseinander.
Auffällig an Ihrer Arbeit ist, dass Sie die verschiedenen Akteure nicht an einen Tisch geholt, sondern diese nach den drei Gruppen separiert haben. Warum das?
Einerseits weil Kleinbauern und Indigene, die offen für ihre Landrechte einstehen, ihr Leben und das ihres Umfelds aufs Spiel setzen würden. Andererseits reden die Teilnehmenden offener, wenn der Kontext passt. Die Grossgrundbesitzer sind redegewandt und haben die Argumente bei der Hand. Sie drücken sich in einer Form aus, die Kleinbauern oft nicht verstehen. Und manche Indigene können gar nicht Spanisch. Deshalb habe ich eine Methode – die Q-Methode – gewählt, die es erlaubt, komplexe Spektren an Meinungen und Wertorientierungen zu erfassen. So konnte ich in dieser konfliktreichen Situation die einen mit den Aussagen der andern konfrontieren und ihre Reaktionen – Zustimmung oder Ablehnung – einfangen, ohne dass sie gemeinsam in einem Raum waren.
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«Der Preis ist eine Motivation weiterzumachen – und auch eine Anerkennung für die Wichtigkeit des Themas»
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Wie geht es jetzt mit dem Chaco weiter: Bieten sich konkrete Lösungswege an?
Ein konkreter Lösungsweg wäre, die Graswurzelbewegungen zu unterstützen, die mutig für ihre Rechte einstehen. Ein anderer wäre, dass Regierungen, aber auch die Wissenschaft, vorhandene Machtstrukturen berücksichtigen und mit in die Entscheide bzw. Untersuchungen einbeziehen. Und natürlich könnte man auf einer sehr praktischen Ebene sagen, wir alle müssten weniger Fleisch essen.
Und was bedeutet es für Sie, den Umweltforschungspreis gewonnen zu haben?
Ein PhD-Studium ist sehr hart und ich bin stolz, dass ich es in drei Jahren und mit summa cum laude durchgezogen habe. Aber man erhält während des Studiums kaum positive Rückmeldungen. Dann fiel auch die Verteidigung meiner Arbeit mitten in die Corona-Zeit. Ich sass in meinem Zimmer und präsentierte online. Danach gab es keine Feier, keine Verleihung; da war nichts. Und jetzt der Preis. Das ist wie die nicht stattgefundene Promotionsfeier – und es ist auch eine Anerkennung für die Wichtigkeit des Themas und rückt das Geschehen im Chaco nochmal ins Rampenlicht.