Wissen und Kompetenzen für Nachhaltigkeit durch partnerschaftliche Forschung und Bildung

Die Pandemie macht es überdeutlich: Die grössten Bedrohungen unserer Zeit wirken über nationale Grenzen hinweg, sind miteinander verflochten und lassen sich nur durch gemeinsames, wissensbasiertes Handeln bewältigen. Partnerschaftliche universitäre Forschung und Lehre spielen dabei eine entscheidende Rolle. Das CDE und seine langjährigen Partner*innen haben wirkungsvolle, transformative Ansätze entwickelt, um aktuelle Nachhaltigkeitskrisen anzugehen und die nächste Generation von «Change Agents» auszubilden. Hier die wichtigsten Erkenntnisse aus der Erfahrung des CDE.

Gemeinsame Pause: Teilnehmende einer internationalen Summer School in Nanyuki, Kenia. Foto: Lilian J. Trechsel

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Kernbotschaften

  • Die Bewältigung aktueller Bedrohungen wie Klimawandel, Artensterben, Epidemien und Ungleichheiten erfordert ein noch nie da gewesenes Mass an Zusammenarbeit und Wissensaustausch.
  • Hochschulbildung und Forschung für nachhaltige Entwicklung sind ideale Mittel, um Menschen im Hinblick auf ein gemeinsames Ziel zusammenzubringen. Sie fördern die dringend notwendige Zusammenarbeit zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und Berufen, Staat, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft, sozialen Schichten, Ländern und Regionen.
  • Das CDE hat mit der Entwicklung seines transformativen Ansatzes zur Bewältigung globaler Herausforderungen Pionierarbeit geleistet. Der Schwerpunkt liegt auf Nord-Süd-Partnerschaften, Transdisziplinarität, Koproduktion von Wissen und der Ausbildung von «Change Agents» – der nächsten Generation von Führungskräften, Expert*innen, Brückenbauer*innen und engagierten Mitgliedern der Zivilgesellschaft.
  • Reiche Länder und Förderorganisationen sollten mehr in langfristige, partnerschaftliche Nachhaltigkeitsforschung und -bildung investieren, veröffentlichtes Wissen für alle zugänglich machen und den Aufbau von Forschungs- und Bildungszentren in einkommensschwachen Ländern unterstützen.

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Grenzenlose Krisen

Das neue Jahrzehnt hat uns sofort an die grenzenlosen Herausforderungen erinnert, vor denen wir stehen. Die zuvor entfachten Brände wüteten weltweit weiter. Im Januar 2020 zog der Rauch von brennenden Landschaften im dürregeplagten Australien über 4000 km weit, verdunkelte den Himmel über Neuseeland und gefährdete die Gesundheit weit entfernter Nachbar*innen.1 In Ländern wie Indien und China bedroht wandernde Luftverschmutzung Menschen an entlegenen Orten seit Jahren – wobei ein Grossteil davon auf die schmutzige, klimaerwärmende industrielle Produktion von Gütern für den Weltmarkt zurückzuführen ist. Gleichzeitig werden tropische Wälder, die unsere Luft reinigen und regenerieren sollten, weiterhin in alarmierendem Tempo zerstört, angetrieben durch die globale Nachfrage nach Fleisch, Soja und anderen «Rohstoffen». Nebst diesen ökologischen Krisen grassiert die soziale Epidemie der Ungleichheit. Auch sie ist global und sowohl in ihren Ursachen (z. B. «Landraub» und Ausbeutung von Arbeitskräften) als auch in ihren Folgen (z. B. Wirtschaftsflüchtlinge und reaktionäre Politik) verflochten.

Brände entlang des Rio Xingu in Brasilien. Foto: NASA Earth Observatory


Dies sind nur ein paar Beispiele von komplexen Nachhaltigkeitsproblemen des 21. Jahrhunderts, und keines lässt sich von einzelnen Ländern isoliert lösen.2 Heute kämpfen wir zudem gegen eine beängstigende Pandemie – die wie andere grosse Ausbrüche zoonotischer Krankheiten vermutlich auf den falschen Umgang der Menschen mit der Natur in unserer hyperglobalisierten Zeit zurückzuführen ist.3 Im grösseren Zusammenhang betrachtet, ist Covid-19 schlicht die jüngste weltumspannende Nachhaltigkeitskrise, die nur durch internationale Zusammenarbeit und wissenschaftliche Innovation zu lösen sein wird. Doch wie und wo kann eine solche Zusammenarbeit zur Lösung gemeinsamer Probleme stattfinden – gerade in Zeiten der zunehmenden Nationalismen, ideologischen Spaltungen und des fehlgeleiteten Nullsummendenkens? Und wie werden neue Generationen lernen, solche Probleme präventiv anzugehen, statt erst zu reagieren, wenn die schlimmsten Szenarien eingetreten sind?

Universitäten als vernetzte Labors für Lösungen und «Change Agents»

Universitäre Forschung und Bildung wird für die Bewältigung gegenwärtiger und zukünftiger Epidemien wie auch anderer weltweiter Nachhaltigkeitskrisen entscheidend sein.4 Universitäten haben bei bahnbrechenden Errungenschaften immer wieder eine bedeutende Rolle gespielt – vom Polio-Impfstoff bis hin zu Technologien für erneuerbare Energien. Sie haben auch entscheidend dazu beigetragen, lebenswichtige (wenn auch oft weniger gefeierte) praktische und soziale Innovationen zu verbessern, zu systematisieren und zu verbreiten – etwa nachhaltigen Landbau oder Regeln für den Umgang mit gemeinschaftlichen Ressourcen wie Flüssen, Wäldern, Böden und Luft.5 Gleichzeitig sind Universitäten wichtige Orte, an denen die nächste Generation von Expert*innen, Entscheidungsträger*innen und engagierten Bürger*innen ihre Weltsicht formt oder umgestaltet, die Krisen, mit denen wir konfrontiert sind, zu begreifen lernt und danach strebt, angemessene Antworten zu entwerfen – seien es gezielte Interventionen oder umfassende Veränderungen unserer Lebensweise.

Gemeinsame Feldforschung in der Nähe von Pokhara, Nepal. Foto: Bishal Bhandari


Wissenshürden

Damit Forschung und Lehre ihr volles Nachhaltigkeitspotenzial entfalten können, müssen die Universitäten jedoch eine Reihe hausgemachter Probleme kritisch reflektieren und angehen.6

  • Erstens sollten Forschende und Lehrende die ethischen Dimensionen ihrer Arbeit expliziter berücksichtigen und sich von der Illusion einer sauberen Trennung zwischen Werten und wissenschaftlichen Fakten verabschieden.7 Werte sind ein fester Bestandteil nachhaltiger Entwicklung und auch jeglicher Wissenschaft in deren Dienst.
  • Zweitens muss gegen die Tendenz zur Privatisierung von Wissen angegangen werden, wie sie in zunehmend profitorientierten Hochschulsystemen, in restriktiven Regelungen zum Schutz «geistigen Eigentums» und in überteuerten, von multinationalen Verlagen betriebenen wissenschaftlichen Zeitschriften zutage tritt.8
  • Drittens müssen Universitäten und die Wissenschaft insgesamt – vor allem im globalen Norden – ihre Rolle in den globalen Machtstrukturen der Vergangenheit (z. B. im Kolonialismus) und der Gegenwart (z. B. Zentrum-Peripherie-Gefälle) kritisch hinterfragen.9
  • Viertens müssen sie sich aktiv darum bemühen, die Auswirkungen asymmetrischer Machtverhältnisse auf die Verfügbarkeit von Wissen auszugleichen – insbesondere die höchst ungleiche globale Verteilung wissenschaftlicher Ressourcen und Kapazitäten.10 Ressourcenstarke, renommierte Universitäten und Fachzeitschriften sind nach wie vor überwiegend in reichen Ländern des globalen Nordens konzentriert,11 die direkt oder indirekt von der Kolonialisierung profitiert haben.
  • Schliesslich gilt es das Gleichgewicht zwischen Forschung und Lehre zu verbessern, denn die Lehre wurde in den letzten Jahrzehnten zunehmend dem Druck zu publizieren geopfert – zum Nachteil der Studierenden, unserer zukünftigen Problemlöser*innen.
Besuch vor Ort anlässlich einer Feldstudie in Abidjan, Elfenbeinküste, 2019. Foto: Karl Herweg


Transformativer Ansatz

Es gibt keinen Königsweg für Universitäten, um die heutigen Nachhaltigkeitskrisen wirkungsvoll und reflektiert anzugehen. Aber wichtige Grundsteine sind gelegt, und Vorreiterinstitutionen haben aus ihren Erfahrungen gelernt. Im Laufe von drei Jahrzehnten haben das CDE und seine Partner*innen einen produktiven, transformativen Ansatz für Forschung und Lehre entwickelt. Er beruht auf mehreren zentralen Grundpfeilern:

Partnerschaft

Wenn unsere Probleme über Grenzen hinweg untrennbar miteinander verbunden sind, dann müssen sie gemeinsam angegangen werden – auf Augenhöhe. Forschungsprojekte und Studienprogramme sind ein ideales Mittel, um Menschen aus unterschiedlichen (selbst verfeindeten) nationalen Kontexten im Hinblick auf ein gemeinsames Ziel zusammenzubringen. Die langjährige Strategie des CDE besteht darin, gemischte Teams aus Forschenden und Studierenden des globalen Südens und Nordens aufzubauen und zu unterstützen.12 Diese und andere Formen der «Wissenschaftsdiplomatie» ermöglichen auch in turbulenten Zeiten dringend benötigte konstruktive Allianzen; idealerweise werden sie durch Kapazitätsaufbau und produktiven Austausch über wissenschaftliche Normen ergänzt.13

Transdisziplinarität

Die gemeinsamen Herausforderungen betreffen zugleich mehrere Dimensionen – ökologische, soziokulturelle und wirtschaftliche. Um sie zu meistern, braucht es viele Formen von Wissen. Deshalb verbindet die Forschung des CDE Menschen mit unterschiedlichen disziplinären und beruflichen Hintergründen. Landnutzungs- oder Bergbauspezialist*innen in einem Land, das Güter abbaut (z. B. Peru), könnten etwa mit Steuer- und Handelsexpert*innen in einem Land zusammenarbeiten, das die Güter importiert, veredelt und weiterverkauft (z. B. der Schweiz). Oder Bodenkundler*innen und landwirtschaftliche Berater*innen vernetzen sich mit Bäuer*innen in verschiedenen Bergregionen weltweit, um Erkenntnisse auszutauschen.14

Studierende besprechen ihre Ideen während einer partizipativen Übung in Cochabamba, Bolivien, 2017. Foto: Karl Herweg


Koproduktion von Wissen

Wichtig ist, dass Forschende und nichtakademische Fachleute direkt mit betroffenen Gemeinschaften (z. B. Wassernutzer*innen), lokalen politischen Entscheidungsträger*innen (z. B. Wasserbehörden) und anderen Anspruchsgruppen zusammenarbeiten, um gemeinsam Wissen zu generieren.15 Gemeinsame Aktivitäten wie Workshops sind dabei auf die Erzeugung von drei Wissensformen ausgerichtet:16 Systemwissen, beispielsweise durch die Kartierung konkurrierender Landnutzungen in einer bestimmten Region (und die Identifizierung globaler Einflussfaktoren); Zielwissen, etwa durch die Formulierung einer konsensfähigen Vision für die Region, die Landnutzungen wie Ackerbau und Naturschutz ausgewogen berücksichtigt; und Transformationswissen zur Verwirklichung dieser Vision, z. B. mittels pragmatischer «Theories of Change».17 Die Produkte dieser Zusammenarbeit – z. B. Publikationen, Websites oder Rohdaten – werden möglichst für alle frei zugänglich und nutzbar gemacht.

Ausbildung von «Change Agents»

Im Zentrum des Ansatzes stehen Studierende, die als Brückenbauer*innen zu einer wünschenswerten, lebenswerten Zukunft gesehen werden. In der wachsenden Tradition der Bildung für nachhaltige Entwicklung betonen die Studienprogramme des CDE den Erwerb von Fach-, Sozial- und Selbstkompetenzen,18 interdisziplinäre und interkulturelle Zusammenarbeit sowie die Auseinandersetzung mit Werten – und nicht etwa den Aufbau von trägem, nicht abrufbarem Wissen. Darüber hinaus engagiert sich das CDE im Sinne eines gesamtuniversitären Ansatzes für die Integration von nachhaltiger Entwicklung in Forschung, Lehre und Betrieb aller Fakultäten (siehe Box).19

Besuch vor Ort während im Rahmen einer Feldstudie in Isiolo, Kenia, 2014. Foto: Lilian J. Trechsel


Umkehrung des «Brain Drain» und globale Vernetzung

All diese Elemente kommen in der International Graduate School (IGS) North-South zusammen, einem kooperativen Nachhaltigkeitsprogramm auf Doktoratsstufe, das vom CDE koordiniert wird und die Universitäten Bern, Basel, Lausanne und Zürich sowie rund 130 Studierende aus dem globalen Norden und Süden – aus der Schweiz/Europa, Afrika, Asien und Lateinamerika – vereint.20 In den Jahren 2012 und 2017 haben Forschende des CDE rund 150 Absolvent*innen des Programms befragt und interviewt.21 Daraus ergeben sich einige wertvolle Erkenntnisse:

Studierende aus dem globalen Süden stärken

Die Umfragen zeigen, dass die IGS North-South die Bildungsungleichheit in ihrem Netzwerk erfolgreich verringert. Mit «Brain Gain» statt «Brain Drain» trägt sie zur Zirkulation von Fachkräften im globalen Süden bei: Etwa 90 Prozent der Studierenden aus einkommensschwächeren Ländern kehrten nach ihrem Abschluss zurück, um dort zu leben und zu arbeiten. Viele erlebten dabei einen unmittelbaren Karriereschub: Die Zahl derjenigen, die eine führende Position in ihrem Fachgebiet innehatten, stieg von 11 Prozent vor der Erlangung des Doktortitels auf 49 Prozent danach. Die meisten fanden eine Anstellung in der Wissenschaft und bilden im Süden eine neue Generation von Fachkräften aus. Bemerkenswert ist, dass es sich hier nicht um die Förderung von Eliten handelt: Zwei Drittel schätzten sich selbst als Angehörige der Unter- oder unteren Mittelschicht ein, und etwa die Hälfte hatte Eltern ohne formale Bildung oder nur mit Primar-/Sekundarschulbildung.

Sensibilisierung von Studierenden aus dem globalen Norden

Interessanterweise war die sozioökonomische Geschichte der Absolvent*innen aus dem globalen Norden anders. Zwei Drittel stuften sich als Angehörige der oberen Mittel- oder Oberschicht ein, und fast 90 Prozent hatten Eltern mit Hochschulabschlüssen. Dennoch brachte ihnen der Erwerb des Doktortitels nicht den gleichen unmittelbaren Karriereschub. Diese Ergebnisse dürften Ausdruck der bestehenden Konzentration von Wohlstand und Fachwissen in der Schweiz/Europa sein – und der entsprechend harten Konkurrenz auf dem lokalen Arbeitsmarkt. Doch Studierende aus dem Norden gewinnen im Idealfall etwas viel Bedeutenderes, wenn sie vor Ort und Seite an Seite mit Studierenden aus dem Süden an schwierigen Fragen der nachhaltigen Entwicklung arbeiten: nämlich einen Bewusstseinswandel – und eine Berufung fürs Leben.

Raum für gemeinsames Riskieren, Wachsen und Vernetzen

Schliesslich unterstrichen die Interviews mit den Ehemaligen den einzigartigen Raum für Transformation, den das Programm bietet und der wohl anhand der alljährlichen Summer School am greifbarsten wird. Diese findet jedes Jahr auf einem anderen Kontinent statt und animiert die Teilnehmenden, bei der Arbeit an gemeinsamen Projekten vor Ort verschiedene Rollen auszuprobieren: als Studierende, Feldforschende, Coaches, Vertreter*innen lokalen Wissens usw. Die Kombination aus Erforschung einer ungewohnten Umgebung, Austausch von Sichtweisen mit Mitstudierenden aus unterschiedlichen Kulturen und Disziplinen und Testen neuer Methoden bietet vielen Studierenden einen sicheren Raum für transformatives Lernen und inspirierende Erfahrungen.22 Die Studierenden nehmen aus solchen Programmerfahrungen in der Regel ein grösseres Verständnis für die Notwendigkeit der transdisziplinären Zusammenarbeit, ein gesteigertes Gefühl der Sinnhaftigkeit sowie gestärkte Kompetenzen und neue Lernmethoden mit. Zudem schaffen sie sich ein erweitertes Netzwerk an kompetenten Kolleg*innen und Freund*innen, das mehr und bessere Forschung sowie persönliches Wachstum ermöglicht.

Das CDE arbeitet daran, seine Angebote mit mehr Nachwuchsforschenden und Studierenden – auf Bachelor-, Master- und Doktoratsstufe – zu teilen und auch Hochschulen im globalen Süden zugänglich zu machen, die Nachhaltigkeit in ihre Studiengänge integrieren möchten. Denn: Je grösser die Reichweite dieses Ansatzes und der Netzwerke, desto wirkungsvoller lassen sich die grundlegenden Veränderungen unterstützen, die es für eine bessere Zukunft braucht.

Studierende und erfahrene Forschende bringen ihren Bus gemeinsam in Bewegung: Isiolo, Kenia, 2014. Foto: Lilian J. Trechsel


Jenseits der Nullsumme

Während das CDE und gleichgesinnte Institutionen weiterhin nach Lösungen für die globalen Nachhaltigkeitskrisen suchen, tun wir gut daran, uns an eine erstaunliche Eigenschaft des Wissens zu erinnern: Es ist von Natur aus unerschöpflich – und damit die ideale gemeinschaftliche Ressource.23 Denn je mehr es geteilt wird, desto mehr wächst es – und zwar exponentiell und synergetisch, da Fachleute, Lehrkräfte, Studierende und Lai*innen ihre Erkenntnisse, Techniken und Errungenschaften kontinuierlich weiterentwickeln, ausbauen, ergänzen und austauschen. Dieses gemeinsam erschaffene Wissen hilft, Krankheiten zu heilen und zu vermeiden, Energieversorgung zu dekarbonisieren, Ernährungssysteme sicherer zu machen, Kommunikation zu verbessern, Schaffen und Wertschätzung von Kunst zu erweitern und den Zugang zu all diesen öffentlichen Gütern zu verbessern – wenn wir es nur ermöglichen. Die Hochschulen können und sollen bestmöglich aufgestellt werden, um das volle Potenzial dieses Wissens und weiterer nachhaltigkeitsrelevanter Kompetenzen zu realisieren.

NACHHALTIGKEIT IN DIE HOCHSCHULBILDUNG INTEGRIEREN

Universitäten tragen zu einer glücklicheren, gesünderen und gerechteren Gesellschaft bei, doch sie können auch Verursacherinnen von Problemen der Nichtnachhaltigkeit sein. Ein Paradebeispiel ist die althergebrachte Aufspaltung des Wissens in siloartig voneinander getrennte universitäre Disziplinen: So können etwa Studierende der Wirtschafts- oder Rechtswissenschaften zu führenden Kräften in ihrem Fach aufsteigen, ohne sich jemals ernsthaft mit Ökologie oder alternativen (z. B. nicht westlichen) Wertesystemen auseinandergesetzt zu haben. Viele von ihnen beraten irgendwann politische Gremien oder machen sogar selbst Politik. So sind wir denkbar schlecht gerüstet, um komplexe Probleme wie Klimawandel oder Ressourcenübernutzung in der erforderlichen umfassenden Weise anzupacken. Das CDE geht dieses Defizit mit starker Unterstützung der Universität Bern an, indem es dazu beiträgt, drängende Fragen der nachhaltigen Entwicklung in die Studienpläne aller Fakultäten sowie in den täglichen universitären Betrieb zu integrieren. Insbesondere unterstützt es Lehrpersonen darin, in ihren Fachbereichen Anknüpfungspunkte zu Nachhaltigkeitsthemen zu finden und diese in ihre Unterrichtspläne einzubauen. Darüber hinaus werden sie ermutigt, ihre Lehre stärker auf die Lernenden und auf Kompetenzaufbau auszurichten. Eine Kombination aus wenigen Vorgaben von «oben» (z. B. obligatorisches Angebot) und vielen Anregungen von «unten» (z.B. studentische Initiativen) haben gute Erfahrungen bei der Motivation von Lehrpersonal und Mitarbeitenden gebracht, Nachhaltigkeit in ihr Denken und ihre Praxis zu integrieren.

ANREGUNGEN ZUR UMSETZUNG DER ERKENNTNISSE

Studierende befragen während der Sommerschule 2014 einen Kleinbauern in Kenia. Foto: Lilian J. Trechsel


In grenzübergreifende Nachhaltigkeitsforschung und -bildung investieren

Um eine lebenswerte Zukunft für alle zu ermöglichen, sollten Regierungen und Förderorganisationen ihre Investitionen in Forschung und Lehre zu und für nachhaltige Entwicklung auf Hochschulstufe erhöhen. Nachhaltigkeitswissenschaft trägt nicht nur zu zielführenden Lösungen bei, sie fördert auch eine systemische Sichtweise – und die ist dringend nötig, um die komplexen und verflochtenen Probleme unserer Zeit anzugehen, einschliesslich Klimawandel, Artensterben, Epidemien, Umweltverschmutzung, Ressourcenübernutzung, bewaffnete Konflikte und Ungleichheit. Vor allem aber fördert eine solche Wissenschaft den fälligen Wandel von Wissenstransfer hin zu Wissensaustausch und tatkräftiger Zusammenarbeit über alle Grenzen hinweg: zwischen verschiedenen Disziplinen und Berufen, Staat, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft, sozialen Schichten, Ländern und Regionen.

Durch gleichberechtigte Partnerschaften mit dem Süden globale Ungleichheit in der Wissenschaft abbauen

Weltweite Krisen wie Covid-19 und der Klimawandel lassen sich nicht überwinden, solange nicht alle Gesellschaften das erforderliche Wissen und die nötigen Ressourcen erhalten, um sie vor Ort zu bekämpfen. Reiche Länder – von denen so einige Expertise und Prestige regelrecht gehortet haben – können und müssen viel mehr tun. Erstens sollten sie langfristige Forschungs- und Bildungspartnerschaften mit Ländern des globalen Südens finanzieren und institutionalisieren. Neue digitale Formate können die Zusammenarbeit verstärken,26 sinnvoll ergänzt durch Elemente der persönlichen Begegnung (z. B. Feldforschung, Summer Schools), wie sie von der IGS North-South praktiziert werden. Zweitens sollten alle Daten und wissenschaftlichen Publikationen so schnell wie möglich für alle frei und vollständig zugänglich gemacht werden. Wie die Pandemie gezeigt hat, kann schnelles und umfassendes Teilen von Daten Leben retten. Drittens muss der Auf- und Ausbau von Forschung und Bildung im globalen Süden grosszügiger unterstützt werden. Studierende und akademische Fachkräfte, die transdisziplinär forschen und/oder in armen Ländern studieren und lehren, brauchen Anreize in Form von alternativen akademischen Referenzsystemen, die Erfahrung, Forschungsqualität und Beiträge an die Gesellschaft stärker betonen als den «Impact Factor» der Zeitschriften.

Lebenslanges Lernen und ganzheitliche Integration von Nachhaltigkeit in der Hochschulbildung fördern

Schliesslich sollte die Hochschulpolitik auf die Integration von Nachhaltigkeit in die Studienpläne und den Betrieb aller Fachbereiche hinwirken. Das bedeutet, Raum und Zeit für transformatives, lebenslanges Lernen zu schaffen – für Studierende wie für das Lehrpersonal. Lehrpersonen sollten gezielt darin unterstützt werden, Nachhaltigkeitsthemen sowie mehr Raum für Zusammenarbeit, Wissensaustausch, Experimente und Reflexion in ihre Lehrveranstaltungen einzubauen. Wenn die aktuellen Krisen überwunden werden sollen, sollte Nachhaltigkeit nicht nur theoretisiert und debattiert, sondern sie muss vor allem gelebt werden (z. B. suffiziente Lebensstile, Work-Life-Balance) – gerade im globalen Norden.


ZITIERVORSCHLAG

Trechsel LJ, Steinböck C, Ayeri Ogalleh S, Zimmermann AB, Herweg K, Breu T, Lannen A. 2020. Unlocking Knowledge for Sustainability: Partnership-based Research and Education. CDE Policy Brief, No. 17. Bern, Switzerland: CDE.

1 Salinger J. 2020. Australia’s bushfires mean New Zealand has become the land of the long pink cloud. The Guardian. 7 January 2020. https://www.theguardian.com/world/2020/jan/08/australia-bushfires-aotearoa-new-zealand-has-become-kikorangi-mawhero-land-of-the-long-pink-cloud

2 Messerli P, Kim EM, Lutz W, Moatti JP, Richardson K, Saidam M, Smith D, Eloundou-Enyegue P, Foli E, Glassman A, Licona GH. 2019. Expansion of sustainability science needed for the SDGs. Nature Sustainability 2(10):892–894. https://www.nature.com/articles/s41893-019-0394-z

3 IPBES [Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services]. 2020. IPBES Workshop on Biodiversity and Pandemics. Workshop Report. Bonn, Germany: IPBES. https://bit.ly/2TBRDNn

4 Trechsel LJ, Zimmermann AB, Graf D, Herweg K, Lundsgaard-Hansen L, Rufer L, Tribelhorn T, Wastl-Walter D. 2018. Mainstreaming education for sustainable development at a Swiss university: Navigating the traps of institutionalization. Higher Education Policy 31(4):471–490. https://link.springer.com/article/10.1057/s41307-018-0102-z

5 WOCAT [World Overview of Conservation Approaches and Technologies]. 2020. WOCAT SLM Database. Bern, Switzerland: WOCAT. https://qcat.wocat.net/en/wocat/list/

6 Trechsel LJ, Zimmermann AB, Graf D, Herweg K, Lundsgaard-Hansen L, Rufer L, Tribelhorn T, Wastl-Walter D. 2018. Op. cit.

7 Kläy A, Zimmermann AB, Schneider F. 2015. Rethinking science for sustainable development: Reflexive interaction for a paradigm transformation. Futures 65:72–85. https://doi.org/10.1016/j.futures.2014.10.012

8 Hil R, Lyons K. 2017. A post-neoliberal academy? Arena Magazine 147:44–77.

9 Mburu S, Huxley N, Miles R, Scott L, Cross A, Tufet M. 2020. Race and Inequality in International Development Research: A UKCDR perspective. UK Collaborative on Development Research blog post. https://www.ukcdr.org.uk/race-and-inequality-in-international-development-research-a-ukcdr-perspective/; Trechsel LJ, Zimmermann AB, Steinböck C, Breu T, Herweg K, Thieme S. 2021. Safe spaces for disruptive learning in a North–South research partnership context: International mobility of doctoral students. Sustainability 13:2413. https://doi.org/10.3390/su13042413

10 UNESCO [United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization]. 2015. UNESCO Wissenschaftsbericht: Der Weg bis 2030. Zusammenfassung. Paris, Frankreich: UNESCO. https://en.unesco.org/unescosciencereport; Barth M, Michelsen G, Rieckmann M, Thomas I, editors. 2015. Routledge Handbook of Higher Education for Sustainable Development. Routledge International Handbooks. London, New York: Routledge. https://bit.ly/3m3QF8F

11 UNESCO [United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization]. 2016. World Social Science Report 2016: Challenging Inequalities – Pathways to a Just World. Paris, France; Brighton, UK: UNESCO/International Social Science Council (ISSC); Institute of Development Studies (IDS). https://en.unesco.org/wssr2016

12 Stöckli B, Wiesmann UM, Lys JA. 2012. Leitfaden für grenzüberschreitende Forschungspartnerschaften: 11 Prinzipien, 7 Fragen. Bern, Schweiz: Kommission für Forschungspartnerschaften mit Entwicklungsländern (KFPE). https://bit.ly/3qUwHAi; Trechsel LJ. 2020. Experiences of PhD graduates researching and learning for sustainable development in an inter- and transdisciplinary setting. ETH Learning and Teaching Journal 2(2):137–140. https://learningteaching.ethz.ch/index.php/lt-eth/article/view/119

13 Upreti BR, Zimmermann AB, Debele B, Cissé G. 2012. Partnerships in Development-oriented Research: Lessons Learnt and Challenges Ahead. Kathmandu, Nepal: NCCR North-South, South Asia Coordination Office. https://www.nccr-north-south.unibe.ch/Upload/Upreti-et-al-Partnerships-in-Development-oriented-Research-2012-lo.pdf

14 OECD [Organization for Economic Cooperation and Development]. 2020. Addressing Societal Challenges Using Transdisciplinary Research. OECD Science, Technology and Industry Policy Papers, No. 88. Paris, France: OECD. https://doi.org/10.1787/0ca0ca45-en

15 Schneider F, Giger M, Harari N, Moser S, Oberlack C, Providoli I, Schmid L, Tribaldos T, Zimmermann AB. 2019. Transdisciplinary co-production of knowledge and sustainability transformations: Three generic mechanisms of impact generation. Environmental Science and Policy 102:26–35. https://doi.org/10.1016/j.envsci.2019.08.017

16 Pohl C, Hirsch Hadorn G. 2006. Gestaltungsprinzipien für die transdisziplinäre Forschung: Ein Beitrag des td-net. München, Deutschland: oekom.

17 Oberlack C, Breu T, Giger M, Harari N, Herweg K, Mathez-Stiefel SL, Messerli P, Moser S, Ott C, Providoli I, Tribaldos T. 2019. Theories of change in sustainability science: Understanding how change happens. GAIA – Ecological Perspectives for Science and Society 28(2):106–111. https://doi.org/10.14512/gaia.28.2.8

18 Wiek A, Withycombe L, Redman CL. 2011. Key competencies in sustainability: A reference framework for academic program development. Sustainability Science 6(2):203–218. https://link.springer.com/article/10.1007/s11625-011-0132-6

19 Herweg K, Zimmermann AB, Lundsgaard Hansen L, Tribelhorn T, Hammer T, Tanner RP, Trechsel L, Bieri S, Kläy A. 2016. Nachhaltige Entwicklung in die Hochschullehre integrieren: Ein Leitfaden mit Vertiefungen für die Universität Bern. Grundlagen. Bern, Schweiz: Universität Bern, Vizerektorat Qualität, Vizerektorat Lehre, Centre for Development and Environment (CDE), Bereich Hochschuldidaktik & Lehrentwicklung, und Bern Open Publishing (BOP). https://boris.unibe.ch/81842/1/Grundlagen%20NE%20in%20die%20Hochschullehre%20integrieren.pdf

20 Trechsel LJ. 2020. Op. cit.

21 Heim EM, Engelage S, Zimmermann AB, Herweg K, Michel C, Breu T. 2012. Tracking Alumni Career Paths: Third NCCR North-South Report on Effectiveness. NCCR North-South Dialogue 42. Bern, Switzerland: NCCR North-South. https://boris.unibe.ch/17598/1/Heim_et-al_NCCR_Dialogue_42.pdf; Trechsel LJ, Zimmermann AB, Steinböck C, Breu T, Herweg K, Thieme S. 2021. Op. cit.

22 Förster R, Zimmermann AB, Mader C. 2019. Transformative teaching in Higher Education for Sustainable Development: Facing the challenges. GAIA – Ecological Perspectives for Science and Society 28(3):324–326. https://doi.org/10.14512/gaia.28.3.18; Trechsel LJ, Zimmermann AB, Steinböck C, Breu T, Herweg K, Thieme S. 2021. Op. cit.

23 Hess C, Ostrom E. 2007. Understanding Knowledge as a Commons: From Theory to Practice. 2007. Cambridge, MA and London, UK: MIT Press. 381 pp. http://www.wtf.tw/ref/hess_ostrom_2007.pdf; Graeber D. 2011. Debt: The First 5,000 Years. Brooklyn, NY, USA: Melville House Publishing. https://libcom.org/files/__Debt__The_First_5_000_Years.pdf

24 Trechsel LJ, Zimmermann AB, Graf D, Herweg K, Lundsgaard-Hansen L, Rufer L, Tribelhorn T, Wastl-Walter D. 2018. Op. cit.

25 Trechsel LJ, Häderli S, Zimmermann AB. 2020. What Do Students of the University of Bern Consider Important for Their Future? Results and Discussion of a National Union of Students Survey. Bern, Switzerland: Centre for Development and Environment (CDE), University of Bern, with Bern Open Publishing (BOP). https://boris.unibe.ch/146168/

26 Mader C, Zimmermann AB, Diethart M, Mulà I. 2020. Virtual conferences in higher education: Teasing out their transformative potential for sustainable development. GAIA – Ecological Perspectives for Science and Society 29(1):57–59. https://doi.org/10.14512/gaia.29.1.12