Interview: Gaby Allheilig
Bis zu 40 Prozent des Landes sind weltweit degradiert. Rund die Hälfte der Menschheit ist davon direkt betroffen. Warum erhält diese Krise – anders als Klima und Biodiversität – in der breiten Öffentlichkeit so wenig Aufmerksamkeit?
Die Klimaveränderung erleben wir mit. Wir bekommen es zu spüren, wenn es lange nicht regnet und die Sommer immer heisser werden. Bei der Biodiversität wiederum weisen Umweltschutzorganisationen seit Jahrzehnten auf die Krise hin: Wir wissen alle, dass zahlreiche Arten vom Aussterben bedroht sind. Und wir nehmen wahr, dass es inzwischen mehr und mehr auch um unsere heimischen Arten geht. Unter Landdegradation hingegen kann man sich schon vom Begriff her wenig vorstellen. Im Fall von Desertifikation und Dürre denken wir dann schlicht: «Das betrifft uns nicht.» Für die Allgemeinheit sind diese Themen komplex; es ist schwieriger nachvollziehbar, wie sich das auf das eigene Leben auswirkt und noch auswirken kann.
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«Land hat nach wie vor keine grosse Lobby»
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Die Ursachen für Desertifikation und Landdegradation liegen vor allem beim Menschen. Trotzdem scheinen sich Politik und Medien – anders als bei Klima und Biodiversität – nicht besonders intensiv damit zu beschäftigen. Hat Land keine Lobby?
Die Rio-Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung wurde 1994 ins Leben gerufen und bildet den legal verbindlichen Rahmen, um Desertifikation und die Auswirkungen von Dürre anzugehen. Das Thema Landdegradation kam im Lauf der Zeit mehr und mehr dazu. Diese betrifft nicht nur die armen Gebiete, die mit Dürren und Wüstenbildung zu kämpfen haben, sondern alle: Nur nachhaltig genutztes Land und gesunde Böden können uns langfristig Essen, Wasser, Artenvielfalt und generell eine funktionierende Umwelt sichern. Mit den UNO-Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 hat das Thema weiter an Bedeutung gewonnen, weil dort unter dem Ziel «Leben an Land» auch das Ziel der «Land Degradation Neutrality» festgehalten ist. Viele Länder sind aktiv geworden und haben Massnahmen eingeleitet – z.B. gegen die Entwaldung, Bodenversiegelung, Erosion, etc. Aber ja, Land und Boden haben nach wie vor keine grosse Lobby.
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«Es geht darum, die richtigen Antworten auf negative Entwicklungen zu finden»
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Es geht aber nicht nur um die Verhinderung von negativen Entwicklungen, sondern darum, die richtigen Antworten darauf zu finden. Verhindern ist eine davon; negative Entwicklungen verringern sowie zerstörte Ökosysteme wie Feuchtgebiete, Wälder, Grasland und Grünflächen, etc. wiederherstellen, die beiden andern. Mit der Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen hat die UNO für 2021-2030 einen entsprechenden Schwerpunkt gesetzt. (Siehe Box unten)
An der jetzigen Konferenz wird das CDE als erste Hochschulinstitution der Schweiz als offizieller Partner der UNCCD akkreditiert. Als Mitglied der Geschäftsleitung des internationalen Netzwerks WOCAT haben Sie schon bisher intensiv mit der UNCCD zusammengearbeitet. Was bedeutet die Akkreditierung des CDE?
Das CDE wird Mitglied der Gruppe «Zivilgesellschaftliche Organisationen», gemeinsam mit anderen Forschungsinstitutionen und NGOs. Von dieser Gruppe nehmen Vertreter*innen an den offiziellen Verhandlungen der Konferenzen teil. Damit können wir vom CDE und WOCAT wissenschaftliche Erkenntnisse zu Themen einbringen, mit denen sich die Konvention beschäftigen muss. WOCAT stellt zudem den UNCCD-Vertragsländern praktisches Wissen und Technologien zur nachhaltigen Landnutzung zur Verfügung und ermöglicht es Ländern und Akteuren, Wissen auszutauschen.
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«Die WOCAT Open-Access-Datenbank zur guten Landnutzung ist in ihrer Art einmalig»
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Wie lässt sich das punkto CDE konkretisieren?
Nehmen wir die Landrechte: Das war ein wichtiges Thema der letzten UNCCD-Weltkonferenz in Neu- Delhi, das die Gruppe der zivilgesellschaftlichen Organisationen stark vorangetrieben hat. Die Vertragsstaaten entschieden, dass die Landrechte besser in der Konvention verankert werden müssen. Denn das Recht am eigenen Land ist Voraussetzung dafür, dass die Bäuerinnen und Bauern langfristig in nachhaltige Praktiken investieren. An der jetzigen Konferenz wird ein technischer Leitfaden zu Landrechten vorgestellt. Hier können wir vom CDE aufgrund unserer Forschung viel einbringen.
Und was hat WOCAT, das schon länger Partner der UNCCD ist, bisher erreicht?
WOCAT hat seit 1992 eine Datenbank aufgebaut, in der gute Praktiken des nachhaltigen Landmanagements dokumentiert sind. Anfang 2014 hat die UNCCD diese als die von ihr offiziell empfohlene globale Datenbank zum Thema bestimmt. Damit sind die Vertragsstaaten aufgefordert, ihre guten Landnutzungspraktiken mit einem sehr breiten und globalen Publikum zu teilen und so den Wissensaustausch unter den Ländern zu fördern. Heute stehen über 2000 Praktiken aus über 130 Ländern zur Verfügung. Eine solche Open-Access-Datenbank, auf die jeder zugreifen und das Wissen für die Planung und das Design von Projekten und Programmen nutzen kann, ist in ihrer Art einmalig. Sie hilft den Planern und Anwenderinnen bei Fragen wie: Was kann ich umsetzen? Was hat sich wo bewährt? Wieviel kostet das und welchen Nutzen habe ich davon?
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«Wir wollen ein günstiges Umfeld für Frauen schaffen und die Gleichberechtigung vorantreiben»
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Ein wichtiges Thema an der jetzigen Konferenz ist die Gleichstellung der Geschlechter. Was kann WOCAT zu diesem Thema beitragen?
Zusammen mit dem UNCCD-Sekretariat haben wir ein neues Tool entwickelt, mit dem sich bewerten lässt, wie gendergerecht die Praktiken der guten Landnutzung sind. Wir haben es in 15 Ländern getestet und stellen es nun vor. Dabei geht es uns vor allem darum, wie man nachhaltige Praktiken so gestalten kann, dass Frauen sie besser anwenden können. Aber auch welche nachhaltige Praktiken gefördert und verbreitet werden sollen – also solche, die Frauen besonders zugänglich sind wie Gärten, Agroforstsysteme, Kompost, Fruchtfolge oder Kleinviehwirtschaft.
Geht es um rein landwirtschaftliche Massnahmen?
Nein, das ist nur eine Ebene, die wir anschauen. Wir haben auch soziale und organisatorische Fragen einbezogen. So verhindern gewisse soziale Normen oft, dass Frauen die eine oder andere Praktik anwenden, obwohl sie das vom physischen Kraftaufwand und dem nötigen Wissen her genauso gut tun könnten wie Männer. Wir haben auch festgestellt, dass Frauen zwar oft aufgefordert werden, mitzumachen – aber an den Aktivitäten, an denen das Know-how vermittelt wird, gar nicht teilnehmen können, weil sie z.B. dann das Mittagessen vorbereiten oder ihre Kinder aus der Schule heimkommen. Das Thema Gender und nachhaltiges Landmanagement ist in dem neuen Tool sehr breit abgehandelt. Unser Ziel ist, generell ein günstiges Umfeld für Frauen zu schaffen und die Gleichberechtigung voranzutreiben. (Tool: siehe Box unten)
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«Die verschiedenen Nachhaltigkeitsthemen müssen miteinander verknüpft werden – auch in den Berichten»
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Was erwarten Sie persönlich von der Weltkonferenz?
Generell erhoffen wir uns, dass die Weltkonferenz die Staaten unterstützt, dem Ziel der «Land Degradation Neutrality» bis 2030 näher zu kommen. Zudem ist es für uns ist es sehr wichtig, dass die verschiedenen Nachhaltigkeits-Themen verknüpft und die Synergien unter den drei Rio-Konventionen genutzt werden. Das betrifft auch die Berichte, die die Vertragsstaaten verfassen, in denen sie darlegen, was sie bisher unternommen haben und wie sie die Ziele erreichen wollen. Es ist eine grosse Belastung, für jede Konvention einen eigenen Bericht zu machen. Hier arbeiten wir mit mehreren Ländern zusammen, um das zu vereinfachen und sinnvoll miteinander zu verbinden. Die Konferenz ist eine ausgezeichnete Gelegenheit, dass diese Länder zusammen mit WOCAT die erarbeiteten Tools und Methoden vorstellen und es so zu einem Austausch unter den interessierten Staaten kommt.
CDE/WOCAT an der UNCCD-Konferenz in Abidjan (in Englisch)