«Wir müssen vermehrt danach fragen, was auch noch hätte sein können»

Bananenplantage oder Wasserkraft? In unserer hypervernetzten Welt beeinflussen Entscheide, die weit entfernt getroffen werden, immer mehr, was an einem bestimmten Ort geschieht. Geht es um Landnutzung, zieht die Lokalbevölkerung dabei oft den Kürzeren – gerade in tropischen Ländern. In Madagaskar und Südostasien haben CDE-Forschende untersucht, wie diese Mechanismen funktionieren – und mit den verschiedenen Akteuren nach nachhaltigen Entwicklungspfaden gesucht. CDE-Wissenschaftlerin Flurina Schneider über die Erkenntnisse und die Rolle der Forschung.

«Wir müssen in der Forschung viel direkter auf das Ziel von positiven Veränderungen hinarbeiten»: Flurina Schneider. Foto: CDE


Interview: Gaby Allheilig

Laut Agenda 2030 ist der Wandel zu einer nachhaltigen Entwicklung möglich – wenn wir es jetzt wirklich anpacken. Zusammen mit andern Wissenschaftler*innen des CDE haben Sie in drei tropischen Ländern erforscht, welche Wege bei Landnutzungsänderungen zu einer nachhaltigen Entwicklung führen könnten. Was ist die wichtigste Erkenntnis?

Aus meiner Sicht sind es vor allem zwei Dinge: Erstens ist Landnutzung für alle Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 – die 17 SDGs – zentral: Land ist die Grundlage für Pflanzen und Tiere, also die Biodiversität, sowie für die Nahrungsmittelproduktion und damit für die Bekämpfung von Armut und Hunger. Land braucht es aber auch für die Industrie und Energieproduktion. Nicht zuletzt ist Land entscheidend für das Ziel Frieden und Gerechtigkeit, weil sich sehr viele Konflikte dieser Welt um den Zugang und die Nutzung von Land drehen. Deshalb müssen wir ganz stark auf die verschiedenen Interaktionen und Synergien zwischen den verschiedenen Entwicklungen achten, wenn wir die Ziele der Agenda 2030 erreichen wollen.

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«Als in Europa die Nachfrage nach natürlicher Vanille stieg, führte das in Madagaskar zu mehr Rodungen»

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Was hat das mit dem Projekt in Madagaskar und Südostasien zu tun?

Das ist der zweite Punkt: Wie und wofür Land genutzt wird, wird oft von Prozessen beeinflusst, die weit entfernt stattfinden. So kann zum Beispiel eine vermeintlich nachhaltige Veränderung der europäischen Ernährungsgewohnheiten ungewollte Folgen in den Produktionsländern haben. Als etwa bei uns in Europa die Nachfrage nach natürlicher Vanille stieg, führte das in Madagaskar zur verstärkten Rodung von Wäldern, weil die Bauern mehr Anbauflächen brauchten. Wir nennen dieses Phänomen Telecoupling. Die grosse Frage ist: Wie lassen sich all die verschiedenen daran beteiligten Akteure für Veränderungen gewinnen, die eine nachhaltigere Entwicklung ermöglichen?

Sagen Sie es uns.

Dafür gibt es keine einfache Lösung. Im Projekt haben wir die wichtigen Akteure ausfindig gemacht und versucht, sie an einen Tisch zu bringen, um die nötigen Verhandlungsprozesse anzustossen.

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«In Laos ist es für nationale Beamte nicht immer einsichtig, mit lokalen Bauern zu diskutieren»

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Hat das funktioniert?

Unterschiedlich. In Madagaskar ging es viel einfacher als in Südostasien, weil in Madagaskar die Kultur des Geschichtenerzählens sehr verbreitet ist – und dabei auch alle zu Wort kommen. In Laos hingegen, wo ein Einparteiensystem herrscht, war es zum Beispiel für nationale Beamte nicht immer einsichtig, weshalb sie sich mit lokalen Bauern zusammensetzen sollen, um zu diskutieren. Zudem ist es sozial nicht akzeptiert, dass man in einer Verhandlung eine ältere oder hierarchisch höherstehende Person unterbricht, damit auch der Bauernvertreter noch etwas sagen kann. In Myanmar schliesslich waren Landfragen nach der langen Militärdiktatur und dem Bürgerkrieg noch viel zu konfliktbeladen, um alle einfach an einen Verhandlungstisch zu bringen. Das wird auch im Zusammenhang mit dem jüngsten Militärputsch sichtbar. Deshalb haben wir dort vor allem mit der Lokalbevölkerung zusammengearbeitet, damit diese gemeinsam ihre eigenen Entwicklungsbedürfnisse formulieren kann.

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«Die lokale Bevölkerung ist nicht selten an Investitionen von aussen interessiert»

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Ob Land für Plantagen, Naturschutzgebiete, Wasserkraftwerke oder Minen genutzt wird, entscheiden immer öfter die Schaltzentralen dieser Welt. Was kann denn die Lokalbevölkerung dem entgegensetzen?

In unseren Studienregionen sind Landnutzungsänderungen häufiger das Resultat von komplexen Wechselbeziehungen zwischen vielen lokalen, nationalen und internationalen Akteuren gewesen als das Ergebnis der Intervention eines «langen Arms», der aus einer Schaltzentrale heraus bestimmt, was läuft. Kommt hinzu, dass die lokale Bevölkerung nicht selten an Investitionen von aussen interessiert ist, weil sie sich eine Verbesserung der Lebensqualität erhofft.

Natürlich sind wir auch auf andere Fälle gestossen; beispielsweise wenn Firmen die ursprünglichen Landnutzer*innen vertrieben haben, oder wenn die Regierungen Naturschutzgebiete ausgeschieden haben wie in Myanmar und Madagaskar. Für die lokale Bevölkerung sind dies meist schwierige Situationen. Je nach Machtkonstellation finden sie manchmal Wege, damit umzugehen; manchmal werden sie von zivilgesellschaftlichen Organisationen darin unterstützt, ihre Rechte einzufordern, oder sie vernetzen sich zum Widerstand.

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«Wir wollten auch testen, was die Forschungsresultate zu nachhaltigen Veränderungen beitragen können»

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Wäre es da nicht zielführender den Hebel in Europa, den USA oder China anzusetzen, statt in diesen Ländern selbst?

Gerade weil es oft um vielschichte Verflechtungen zahlreicher Akteure geht, muss man auf beiden Seiten ansetzen. Eine sehr wichtige Rolle spielen zum Beispiel die nationalen Regierungen. So versucht Laos zwar, die Landnutzung zu kontrollieren, aber tatsächlich ist der Staat in entlegenen ländlichen Gebieten kaum präsent. Das hat zur Folge, dass chinesische Investoren – die meist aus der Grenzregion stammen – ohne Bewilligung mit den lokalen Bauern Verträge abschliessen. Wenn es nicht mehr rentiert, verschwinden sie wieder. Die Bauern sitzen dann auf einer mit Pestiziden verseuchten Bananenplantage.

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«Es reicht längst nicht mehr, vergangene Prozesse zu verstehen»

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In allen drei Ländern wurden via Projekt auch kleine Initiativen mit der lokalen Bevölkerung lanciert, die einen Wandel einläuten sollen. Wie sind diese mit der Forschung verlinkt?

Für unser Projekt war es wichtig, nicht nur neues Wissen zu generieren, sondern auch in konkreten, kleinen Projekten zu testen, wie die Forschungsergebnisse zu einer Verbesserung der Situation punkto Nachhaltigkeit beitragen können. Dazu formulierten wir aufgrund unserer Resultate für jede Studienregion konkrete Veränderungshypothesen, sogenannte Theories of Change. Das führte nicht nur zu sehr unterschiedlichen Resultaten in der Praxis, sondern es zeigte sich auch, dass wir in der Forschung neue Denkansätze brauchen, um zu nachhaltigen Lösungen zu kommen.

Was meinen Sie damit?

Es reicht längst nicht mehr, vergangene Prozesse zu verstehen. Vielmehr müssen wir als Forschende Beiträge zu positiven Veränderungen liefern und viel direkter auf dieses Ziel hinarbeiten. Statt also zuerst alle Gründe zu eruieren, weshalb etwas nicht funktioniert, müssen wir uns fragen: Welche Innovationen führen in die gewünschte nachhaltige Richtung? Dazu braucht es eine andere Art von Forschung, andere Ansätze und fundamental andere Fragestellungen und Kooperationen, beispielsweise mit den Geisteswissenschaften und Künsten.

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«Die Künste könnten helfen, Zugänge zu schaffen, die Wissen und Emotionen verbinden»

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Worin liegt der konkrete Vorteil davon?

Historikerinnen und Historiker etwa fragen nicht nur nach der Evidenz, sondern auch nach der Kontingenz, also nach dem, was auch noch hätte sein können. Wenn es um den Wandel zur nachhaltigen Entwicklung geht, ist eine solche Fragestellung äusserst interessant. Die Zusammenarbeit mit den Künsten wiederum könnte neue Zugänge schaffen, die Wissen, Emotionen und Beziehungen verbinden. Denn unsere rationale Herangehensweise, Wissen zu produzieren und dann umzusetzen, ist nur eine der Möglichkeiten. Viele Kulturen kennen da andere Formen.

Die Anreizsysteme in der Wissenschaft sind nur selten auf diese transdisziplinäre und transformative Forschung ausgerichtet. Wie pushen Sie dieses Umdenken in der Wissenschaft selbst?

Einerseits ist die Ausbildung von Studierenden sehr wichtig, um die Kompetenzen für die transdisziplinäre und transformative Forschung zu fördern. Andererseits arbeite ich mit verschiedenen Forschungsförderern zusammen, um zu untersuchen, wie sich die Bedingungen für die transdisziplinäre Forschung verbessern lassen. Das beginnt dabei, wie und von wem Eingaben für Forschungsprojekte und wissenschaftliche Artikel begutachtet werden. Meines Erachtens müssten die betroffenen Akteure bei Forschungsprogrammen auch in die Themensetzung einbezogen werden – und in die Auswahl der Projekte. Sie sollen ja einen Nutzen davon haben.

Das Forschungsprojekt

Das Forschungsprojekt «Managing telecoupled landscapes» begann 2015 und dauert bis 2021. Es ist Teil des Schweizerischen Forschungsprogramms zu globalen Entwicklungsfragen (r4d-Programm), finanziert vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) sowie der schweizerischen Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). Das Projekt verfolgte das Ziel, innovative Strategien in drei Studiengebieten in Laos, Myanmar und Madagaskar zu entwickeln und zu testen, welche die Leistungen von Ökosystemen und das menschliche Wohl der betroffenen Bevölkerung sichern – gerade wenn die Landnutzung unter starken externen Einflüssen steht. Entstanden sind daraus unter anderem drei Policy briefs: