RAICES – Netzwerk für agrarökologische Forschung

View through a window on the landscape of the village of Talapzo
Talapazo, Argentinien. Foto: Silvia Lomascolo


Die industriellen Agrar- und Ernährungssysteme zeitigen weltweit unerwünschte Auswirkungen auf Ökosysteme sowie Gesundheit von Mensch und Tier. Zudem hatten laut der UNO-Welternährungsorganisation FAO 2022 rund 2,4 Milliarden Menschen keinen Zugang zu nahrhaften, gesunden und ausreichenden Lebensmitteln. Besonders betroffen sind Frauen und Bewohner*innen in ländlichen Gebieten.

Als Reaktion auf diese Probleme wächst das Bewusstsein für die Notwendigkeit nachhaltiger, widerstandsfähiger und umweltfreundlicher Ernährungssysteme.

Kombinierter Ansatz

Für dieses Projekt kombinieren die Forschenden Ansätze aus der Agrarökologie mit einem Fokus auf den Kontext der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, indem sie das Konzept der lokalen agrarökologischen Ernährungssysteme (LAFS) übernehmen. Dieses relativ neue Konzept findet derzeit zunehmend Anerkennung. Es verspricht zwar einen alternativen Weg zu nachhaltigeren und gerechteren Ernährungssystemen, doch seine Umsetzung steht vor vielen Herausforderungen und Einschränkungen.

Wissenslücken schliessen

Der Wissenschaft kommt eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum geht, empirische Belege für die genauen Bedingungen zu liefern, unter denen LAFS zu Ernährungssicherheit, Ernährungssouveränität, ökologischer Nachhaltigkeit und mehr Gerechtigkeit beitragen können.

Im Projekt werden daher vier Dimensionen von LAFS untersucht, die derzeit noch wenig erforscht sind:

1. Beitrag zur Ernährung

Agrarökologie und LAFS können durch die Förderung von Diversität – Pflanzenvielfalt, Biodiversität und Agrobiodiversität – positive Ergebnisse erzielen – sowohl in Bezug auf die Ernährungssicherheit als auch auf die Ernährungsvielfalt. Bislang sind jedoch die qualitativen Auswirkungen von LAFS und die damit verbundenen Veränderungen der Ernährungs- und Konsumgewohnheiten wenig erforscht.

2. Ökologische Nachhaltigkeit 

Jüngste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass kleinräumige und indigene landwirtschaftliche Praktiken mehr Agrarökosystemleistungen bereitstellen können als agroindustrielle Systeme. Allerdings kann es zu Diskrepanzen zwischen einigen Prinzipien der Agrarökologie und der tatsächlichen Praxis von Kleinbäuerinnen und -bauern kommen. Deshalb müssen die Praktiken der LAFS gründlich untersucht und ihre Auswirkungen auf verschiedene Ökosystemleistungen, darunter Bestäubung und Schädlingsbekämpfung, bewertet werden.

3. Wohlbefinden und Gerechtigkeit 

LAFS bieten den Landwirt*innen zwar oft vielversprechende Alternativen und unterstützen kurze Lieferketten und lokales Wissen. Aber es ist noch unklar, wie sie die sozioökonomischen Schwächen wirksam angehen können, von denen Kleinbäuerinnen und -bauern weltweit zunehmend betroffen sind. Auch ist noch nicht geklärt, inwieweit LAFS die Geschlechtergerechtigkeit beeinflussen. Dies, obwohl die Stärkung der Rolle von Frauen entscheidend dazu beitragen kann, Einkommen und Ernährungssicherheit im Globalen Süden zu verbessern.

4. Governance und Politik 

Für eine wirksame Umsetzung von LAFS braucht es auch förderliche Governance-Systeme und eine entsprechende Politik. In den letzten Jahren haben mehrere Regierungen LAFS-Ansätze und Ernährungssouveränität in ihre nationale Politik integriert. Sie sind jedoch selten in einen systemischen oder ganzheitlichen Ansatz zur Transformation der Ernährungssysteme eingebettet. Eine stärkere Fokussierung auf Governance und lokale Politikbereiche könnte dazu beisteuern, einige der Skalierbarkeitsprobleme anzugehen, die im Zusammenhang mit der Agrarökologie häufig hervorgehoben werden.

the CONICET researcher in front of a poster about environmental sustainability
CONICET-Wissenschaftlerin Gabriela Nuñez Montellano während eines transdisziplinären Workshops in Talapazo. Foto: Maurice Tschopp

Projektziele

Das Projekt zeigt auf, wie lokale Ernährungssysteme und agrarökologische Praktiken die Ernährungssouveränität marginalisierter Gemeinschaften in Bergregionen unterstützen können.

Zu diesem Zweck werden folgenden spezifischen Ziele verfolgt:

  1. Den Beitrag von LAFS zu einer gesunden und kulturell angemessenen Ernährung zu ermitteln.
  2. Die ökologischen Nachhaltigkeit von LAFS zu bewerten.
  3. Die Dimensionen der sozialen Gerechtigkeit und des Wohlbefindens in LAFS zu untersuchen – inklusive Geschlechtergerechtigkeit, Einkommensverteilung, Zufriedenheit.
  4. Die Governance von und Politik zu LAFS zu analysieren: Vertretung und Partizipation, fördernde und hemmende Politik, fördernde politische Rahmenbedingungen.

Das Projekt wird das systemische Verständnis der LAFS in all ihren Dimensionen erhöhen und deren Potenzial und mögliche Defizite punkto einer gesunden Ernährung, ökologischer Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit aufzeigen.

In der Studienregion werden die Projektergebnisse in die Bewirtschaftungspraktiken von Kleinbäuerinnen und -bauern einfliessen, um die Ernährung zu verbessern, die Produktivität zu steigern und die ökologische Nachhaltigkeit zu erhöhen. Auf der Grundlage der Ergebnisse und der Multi-Stakeholder-Dialoge werden zudem Empfehlungen für politische Massnahmen formuliert, um LAFS zu fördern.

Über das Untersuchungsgebiet hinaus wird das Projekt wichtige Erkenntnisse über LAFS in anderen Bergregionen des globalen Südens liefern.

Untersuchungsgebiet

Das Forschungsprojekt wird im Nordwesten Argentiniens in der Region Calchaqui-Täler und den umliegenden Gebieten durchgeführt. Diese Region ist nicht nur für die Anden, sondern auch für andere Berggebiete des globalen Südens typisch: Die Bewohner*innen sind indigene und lokale Gemeinschaften, die unter extrem ungünstigen klimatischen Bedingungen und oft in grosser Abgeschiedenheit kleinbäuerliche LAFS betreiben, die eine besonders hohe (Agro-)Biodiversität aufweisen.

Forschungszusammenarbeit Schweiz-Argentinien

CDE und CONICET – der Nationale Rat für wissenschaftliche und technische Forschung Argentiniens – leiten das Projekt gemeinsam und arbeiten dafür mit Expert*innen verschiedener Disziplinen am CDE und der Nationalen Universität von Tucumán zusammen.