Forschende fordern, soziale Fragen beim Biodiversitätsziel 30x30 einzubeziehen

Damit sich die Ende 2022 formulierten Ziele des globalen Biodiversitätsschutzes erreichen lassen, müssen die sozialen und sozio-ökonomischen Auswirkungen von Naturschutzgebieten berücksichtigt werden. Das halten 30 Forschende, darunter Julie Zähringer von der Wyss Academy for Nature und dem CDE, fest. Sie rufen dazu auf, jetzt die nötigen Grundlagen dafür zu schaffen.

Aye-Aye in Madagascar. Foto: javarman / shutterstock.com


Die Kommentare waren sich weitgehend einig: Das Ergebnis der Konferenz in Montreal-Kunming, COP15, von Ende 2022 sei wegweisend, ein Durchbruch beim Artenschutz, ja, punkto Biodiversität gar vergleichbar mit dem Pariser Abkommen beim Klima. Anlass für die Feierstimmung: Nach jahrelangen Verhandlungen war es im letzten Moment geglückt, ein Schlussdokument zu verabschieden, das unter anderem vorsieht, bis 2030 30 Prozent der Erdoberfläche unter Naturschutz zu stellen. Ziel dieser 30x30-Initiative: der dringend nötige Stopp des Artenschwundes.

Mit der Erhöhung der Schutzgebiete von 17 auf 30 Prozent der Erdoberfläche erhoffen sich die Unterzeichnerstaaten des UN-Biodiversitätsabkommens Vorteile für die biologische Vielfalt sowie die menschliche Gesellschaft.

Viele Fragen sind offen

Nach wie vor offen ist allerdings, was genau wo und wie unter Schutz gestellt werden soll – obwohl bereits viele Projekte zur Umsetzung des Artenschutzes laufen oder geplant sind. So legt das Abschlussdokument der COP15 beispielsweise nicht fest, wie streng die neuen oder bereits vorhandenen «Gebiete mit besonderer Bedeutung für die biologische Vielfalt und die Ökosystemfunktionen» vor menschlichen Aktivitäten oder Nutzung geschützt sein sollen.

«Je nachdem, wie das 30 Prozent-Ziel umgesetzt wird, wird dies nicht nur verschiedene ökologische Ergebnisse zeitigen, sondern unterschiedliche soziale, politische und wirtschaftliche Auswirkungen haben. Auch die Kosten sowie Vor- und Nachteile, die mit der Umsetzung verbunden sind, fallen regional und lokal anders aus», sagt Julie Zähringer von der Wyss Academy for Nature und dem CDE, Universität Bern. Zusammen mit einer Gruppe von 29 weiteren Wissenschaftler*innen fordert sie, die sozialen Aspekte seien bei der Umsetzung des 30x30-Ziels einzubeziehen. Denn, so machen die Forschenden in einer soeben publizierten Stellungnahme deutlich: Wie erfolgreich sich das globale Naturschutzziel 30x30 tatsächlich umsetzen lässt, hängt stark von sozialen Faktoren ab.

Grundlagen für Entscheide schaffen

Nur: Um die kurz- und längerfristigen Effekte verschiedener Umsetzungsszenarien auf bestimmte Gruppen der lokalen Bevölkerungen und die Gesellschaft als Ganzes absehen zu können, fehlen detaillierte Analysen. Diese seien jedoch eine Voraussetzung für die Entscheidungsträger auf allen Ebenen, so die Forschenden.

Was jetzt konkret zu tun ist, um die sozialen und sozio-ökonomischen Effekte bei der Schaffung und Bewirtschaftung von Naturschutzgebieten abschätzen zu können, formulieren die 30 Wissenschaftler*innen in vier Empfehlungen. Diese betreffen vor allem Daten, Monitoring sowie die Zusammenarbeit unter den wichtigen Akteuren. «Das erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen aus verschiedenen Disziplinen, Perspektiven und Ebenen, darunter auch solche, die in der Vergangenheit in den Debatten über den flächenbasierten Naturschutz unterrepräsentiert waren.»

Mit ihrer Forderung und den Empfehlungen zielen die Autor*innen auf den nächsten Weltbiodiversitätsgipfel. Dieser soll 2024 in der Türkei stattfinden.


KONTAKT

Prof. Dr. Julie Zähringer, julie.zaehringer@wyssacademy.org