Konsum andersrum

Teilen, tauschen, reparieren: Angebote und Initiativen, die auf einen nachhaltigen Konsum zielen, haben Konjunktur. Ebenso Aktionen, bei denen Lebensmittel «gerettet», selbst produziert, lokal und unverpackt vermarktet werden. Kurz: Wo Überdruss am Überfluss herrscht, gibt es auch Nährboden für innovative Alternativen. CDE-Forschende haben untersucht, welche Initiativen besonders interessant sind, um mehr Menschen für einen suffizienteren Lebensstil zu gewinnen – und was die öffentliche Hand dazu beitragen kann.

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Gaby Allheilig, Christoph Bader

6 Millionen Tonnen Siedlungsabfall pro Jahr, 742 Kilo pro Kopf: Damit wurde die Schweiz vor einem Jahr «Abfallweltmeisterin», wie die Tagesschau vom 28. November 2017 vermeldete. Keine Lorbeeren gibt’s für die Nation auch punkto ökologischem Fussabdruck. Dieser beziffert die Fläche, die es braucht, um die Ressourcen für den Lebensstil und -standard eines Menschen, einer Region oder eines Landes bereitzustellen. Hierfür bezieht die Schweiz – ähnlich den meisten westeuropäischen Ländern – rund dreimal mehr an Ressourcen, als weltweit an Biokapazität zur Verfügung stehen.

Konsum auf Kosten anderer

Zum Vergleich: Die meisten Staaten Afrikas, Südostasiens und des indischen Subkontinents verbrauchen – vor allem armutsbedingt – weniger als einmal die Erde. Der Konsum in den Industriestaaten geht mithin auf Kosten von Entwicklungsländern – oder von kommenden Generationen. Im Falle der Schweiz: Seit dem 7. Mai 2018 lebt das Land bis Jahresende auf Pump.

Oekologischer Fussabdruck, globale Verteilung 2014
© Bundesamt für Statistik, BFS/OFS/UST/FSO

 

Das Bundesamt für Umwelt (BAFU), das die konsumbedingte Umweltbelastung mit weiteren Indikatoren misst, zeigt auf, wo der Schuh drückt: Es sind Ernährung, Wohnen und Mobilität, die hierzulande den übermässigen Ressourcenverbrauch verursachen, nämlich zu 70 Prozent.

Neue Geschäfte mit Altem

Zuviel Ressourcenverbrauch einerseits, zuviel Müll andererseits. Doch es gibt auch einen Gegentrend. Zahlreiche Initiativen aus der Mitte der Gesellschaft zeigen Alternativen auf – wie die Repair Cafés. 2009 in Holland gestartet, haben diese sich rasch verbreitet. Allein in der Schweiz gibt es inzwischen 97 solcher Flickwerkstätten, wo man zum Beispiel lernt, den Plattenspieler oder das Velo zu reparieren, dabei andere Leute trifft und sich bei einem Kaffee unterhält.

Im schwedischen Eskilstuna ist man noch einen Schritt weitergegangen: Aus der Not – zuviel Müll – hat man dort eine Tugend gemacht und 2015 das «weltweit erste Recycling-Einkaufszentrum», so die Eigenwerbung, eröffnet. Das Geschäftsmodell: Die Kund_innen der Shopping Mall geben ihre alten Sachen ab und können etwas wieder Aufgepepptes erwerben.

 

Und das Geschäft läuft: 14 neu gegründete Shops bieten von Sportartikel über Kleider und Computer bis hin zu Spielzeug ein breite Palette an wieder verwerteten Konsumgütern an – ebenso wie Reparatur-Workshops. Nach einer zweijährigen Starthilfe der Gemeinde ist das Kaufhaus inzwischen selbsttragend und über die Landesgrenze hinaus bekannt.

Suffizienz – bei gleicher oder mehr Lebensqualität

Repair Cafés und die schwedische Recycling Mall sind jedoch nur zwei von rund 200 Beispielen, die CDE-Forschende schweiz- und europaweit zusammen mit der Stiftung Risiko-Dialog im Rahmen des Programms «Energieforschung Stadt Zürich» untersuchten (siehe Box). Ein Ziel ihrer Analyse: aufzeigen, wie solche Initiativen auf individueller Ebene einen weniger ressourcen-intensiven Konsum- und Lebensstil fördern – und zwar bei gleichbleibender oder höherer Lebensqualität. Besonderes Augenmerk haben sie dabei auf zivilgesellschaftliche Initiativen gelegt, die Mobilität, Ernährung, Alltagsgegenstände sowie Arbeit/Freizeit betreffen.

Gemeinschaftssinn und Wertschätzung

Neben bekannteren Angeboten wie dem Verleih von (Last-)Velos sind die Wissenschaftler_innen auch auf bisher weniger verbreitete Angebote gestossen. So zum Beispiel auf basimil.ch, eine Genossenschaft, die Bio-Milchprodukte für den lokalen Markt herstellt, Käserei-Praktika anbietet und ihren Abonnent_innen Besuche auf dem Hof ermöglicht. «Der direkte Kontakt führt dazu, dass die Leute besser verstehen, was und wie man produzieren kann», ist Lukas Peter, einer der Mitbegründer von basimilch, überzeugt. Nebst einer umwelt- und tierfreundlicheren Produktionsweise belebe das Projekt zusätzlich den Gemeinschaftssinn. «Arbeit kann so eine andere Wertschätzung erhalten – oder einfach nur Freude machen.»

 

Positive Erlebnisse und persönlicher Nutzen

Solche Aspekte fallen auch bei «Tauschen am Fluss» ins Gewicht, einem Marktplatz der besonderen Art in Zürich-Wipkingen. Anders als auf herkömmlichen Marktplätzen wird hier Zeit in Form von Arbeit getauscht. Konkret: Eine Stunde geleistete Gartenarbeit zum Beispiel lässt sich umtauschen in eine Stunde Musikunterricht, PC-Hilfe oder Rückenmassage. Das Grundprinzip: Jede Arbeit wird gleich gewertet.

Langjährige Teilnehmer_innen schätzen am Netzwerk besonders, dass sie die eigenen Fähigkeiten einsetzen und damit andern eine Freude bereiten können. Damit würden auch Selbstbewusstsein, soziale Kompetenzen sowie eine andere Art von Konsum gestärkt. Sprich: Mitmachen kann zu einem positiven Erlebnis bei gleichzeitig persönlichem Nutzen führen.

 

Von der individuellen zur gesellschaftlichen Wirkung

Doch wie steht es um die Breitenwirkung der freiwilligen Angebote? Sie ist ja letztlich Voraussetzung dafür, dass auf diese Weise gesamtgesellschaftlich weniger Energie und andere Ressourcen verbraucht werden.

In diesem Punkt fällt die Bilanz durchzogen aus. Zwar gebe es vielerorts ein «überraschend reichhaltiges Bild an Einzelinitiativen», wie die Forschenden festhalten. Auffallend sei aber, dass gerade in Zürich die vorhandene Vielfalt kaum sichtbar werde und die verschiedenen Angebote ausserhalb ihres eigenen Konsumfelds wenig vernetzt seien. Der Grund: Die treibenden Kräfte hinter den jeweiligen Initiativen sind meist mit den eigenen Aufgaben voll beschäftigt. So bleibt kaum Zeit für den Austausch und die gegenseitige Unterstützung.

Gemeinsam stärker

Gerade das wäre jedoch wichtig. Zumal die einzelnen Angebote oft mit begrenzten finanziellen Mitteln kämpfen und teils kaum auf juristisches oder administratives Know-how zurückgreifen können.

Auf solche Herausforderungen hat man in Genf schon 2004 mit der alternativen Handelskammer «Après-GE» geantwortet. «Vorher gab es keine Struktur, welche die Akteure verband, die eine nachhaltige Entwicklung anstreben», so ein Gründungsmitglied von «Après-GE». Inzwischen zählt der Dachverband knapp 300 Kollektivmitglieder – von Wohngenossenschaften über FabLabs (Technologielabore für alle) bis zur alternativen Lokalwährung «Le Léman», Vereine wie «Terrasses sans frontières», der sich die Begrünung von Flachdächern auf die Fahne geschrieben hat, bis hin zu partizipativen Lebensmittelläden wie Le Nid. Die Dachorganisation vertritt die gemeinsamen Interessen all dieser Unternehmen und Organisationen gegenüber den Behörden und unterstützt sie mit Raumangeboten, Kommunikation, Logistik, etc.

Hebelwirkung über Dachstrukturen

Die Wissenschaftler_innen zeigen in ihrer Studie den interessierten Behörden eine Reihe von Möglichkeiten auf, welche Massnahmen besonders geeignet wären, um freiwillige Angebote zu einem suffizienteren Lebensstil zu fördern. Insbesondere aber empfehlen sie, «unterstützende Netzwerke, Plattformen und Dachverbände zu stärken». Denn, so das Fazit: «Dies könnte eine grosse Hebelwirkung auf den Erfolg der verschiedenen bestehenden wie auch auf die Gründung neuer Initiativen haben.» 

Zürich und die 2000-Watt-Gesellschaft

2008 sprachen sich die Stimmberechtigten der Stadt Zürich mit grossem Mehr dafür aus, die Nachhaltigkeit und die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft in der Gemeindeordnung zu verankern. Damit wollen die Zürcher_innen zum Klimaschutz beitragen und einem Ressourcen-Engpass vorbeugen – konkret mit den Stossrichtungen «Effizienz», «Konsistenz» und «Suffizienz». Während die beiden ersten Strategien auf innovative, effiziente Energiesysteme bzw. den vermehrten Einsatz von erneuerbaren Energien setzen, zielt die Suffizienz aufs individuelle Handeln.