«Noch haben wir Spielraum, um unser Landmanagement anzupassen»

Der Slogan des Internationalen Tags des Bodens vom 5. Dezember 2023 tönt banal: Boden und Wasser – eine Quelle des Lebens. Die Zahlen dazu lassen aber aufhorchen. Hinter ihnen steht eine dramatische Entwicklung, die im öffentlichen Bewusstsein noch kaum angekommen ist. «Wir müssen die Diskussionen, wofür und wie wir Boden und Wasser nutzen, auf allen Ebenen dringend anstossen», so CDE-Wissenschaftler Tatenda Lemann.

Tatenda Lemann
«Wir müssen vor allem darauf achten, Erosion gar nicht erst entstehen zu lassen»: Tatenda Lemann. Foto: IISD / ENB, Matthew TenBruggencate


Interview: Gaby Allheilig

Als Wissenschaftler befassen Sie sich mit Boden und Wasser. Haben Sie auch persönlichen Bezug zu Boden?

Wir alle haben einen Bezug zu Boden – zum Beispiel über unsere tägliche Ernährung – sind es uns aber meist nicht bewusst. Persönlich wurde ich auf das Thema so richtig aufmerksam, als ich bei starkem Niederschlag zum ersten Mal gesehen habe, wie der Oberboden von Feldern, die keine Bodenbedeckung hatten, einfach weggeschwemmt wurde. Später habe ich mich während meiner Dissertation intensiver damit beschäftigt, wie viel Boden im äthiopischen Hochland unter welcher Landnutzung weggespült wird.

Wie viel war das?

Wir haben zum Beispiel in einem rund 5000 Hektar grossen Wassereinzugsgebiet gemessen, dass in einem Jahr über 100'000 Tonnen Boden in den Fluss geschwemmt wurden. Das entspricht rund 2500 Lastwagen voller Erde – wohlgemerkt in einem Gebiet, wo es auch Wald hat. Das sind im Durchschnitt über 20 Tonnen pro Hektar. Auf einzelnen bebauten Feldern waren die Werte also noch viel höher. Im Blauen Nil ist das Resultat dieser Erosion während der ganzen Regenzeit gut sichtbar: Der Fluss färbt sich braun und transportiert Tonne für Tonne fruchtbaren Boden ab. Diese oberste, nährstoffreiche Bodenschicht fehlt dann im Einzugsgebiet und die Ernteerträge sinken. Gleichzeitig wirkt sich die Erosion flussabwärts auch auf die Infrastruktur wie Dämme aus.

Blue Nile during the rain season
Tonne für Tonne an fruchtbarer Erde weggeschwemmt: Der Blaue Nil während der Regenzeit. Foto: Tatenda Lemann

____________________________________________________________________________________

«Weltweit stammen rund 95 Prozent unserer Nahrung direkt oder indirekt vom Boden»

____________________________________________________________________________________

Gefährdet die zunehmende Bodenerosion unsere Ernährung?

Weltweit stammen rund 95 Prozent unserer Nahrung direkt oder indirekt vom Boden – und zwar von der obersten Schicht von 40 bis 50 Zentimetern. Davon hängen 80 bis 90 Prozent des irdischen Lebens ab. Weggeschwemmt, weggewindet, versalzen, chemisch oder biologisch degradiert ist Boden sehr rasch. Das kann an einem Einzelereignis liegen oder von jahrelanger Degradation herrühren. Um einen Zentimeter Boden wieder aufzubauen, dauert es je nach Klimazone jedoch 100 bis 300 Jahre. Das heisst: Wenn Boden weggeschwemmt oder degradiert wird, hat das selbstverständlich einen grossen Einfluss auf die Landwirtschaft und unsere Nahrungsketten, aber auch auf die Biodiversität und das Klima. Denn Boden kann viel Kohlestoff speichern, allerdings auch wieder freigeben – was dann die Klimaerwärmung weiter anheizt. Zudem ist Boden ein wichtiger Wasserspeicher. Er kann Überschwemmungen verhindern und das aufgenommene Wasser in Trockenperioden für Pflanzen verfügbar machen.

____________________________________________________________________________

«Wenn wir so weitermachen, können wir in 40 bis 60 Jahren die Weltbevölkerung nicht mehr ernähren»

____________________________________________________________________________

Um bei der Bodenfruchtbarkeit zu bleiben: Man kann man ja auch düngen.

Natürlich lässt sich mit Dünger kurzfristig viel kompensieren. Aber das geht – gerade wenn es Kunstdünger ist – nicht ewig, hält die Bodendegradation nicht auf und hat zudem negative Folgen für die Biodiversität und Wasserqualität. Die Statistik zeigt, dass global gesehen der Düngerverbrauch pro Hektar noch immer steigt, auch wenn er in einzelnen Ländern wie der Schweiz oder Deutschland seit ein paar Jahren zurückgeht. Bezieht man auch den Biodiversitätsverlust mit ein, zeigen einige Studien, dass wir mit unserer intensiven Landnutzung und Monokulturen noch 80 bis 120 Ernten zur Verfügung haben. Das würde bedeuten: Wenn wir so weitermachen, können wir bis in 40 bis 60 Jahren nicht mehr genug produzieren, um die Weltbevölkerung zu ernähren.

____________________________________________________________________________

«Die Landdegradation betrifft uns überall – auch in der Schweiz»

____________________________________________________________________________

Das UNO-Übereinkommen zur Bekämpfung der Wüstenbildung (UNCCD) gab im Oktober bekannt: «Wenn der derzeitige Trend anhält, müssen wir bis 2030 1,5 Milliarden Hektar degradierter Flächen sanieren.» Was sagen Sie dazu?

Es sieht tatsächlich nicht gut aus und der Trend geht definitiv noch immer in die falsche Richtung. Global, so die Schätzung, sind 20 bis 40 Prozent der Landflächen degradiert. Das betrifft fast die Hälfte der Weltbevölkerung direkt, wie die UNCCD in ihrem Global Land Outlook hervorgehoben hat.

Die UNCCD ist das einzige internationale Übereinkommen für die weltweite Erhaltung von Land. Sie findet aber leider noch immer deutlich weniger Beachtung als die beiden anderen Rio-Konventionen, das Klima- und das Biodiversitätsabkommen. Das mag auch mit der aus meiner Sicht unglücklichen Wortwahl Desertification, Wüstenbildung, zusammenhängen. In unseren Breitengraden haben dann viele das Gefühl: Das betrifft uns nicht, die nächste Wüste ist ja weit entfernt. Eigentlich geht es aber um Landdegradation – inklusive Boden, Wasser und Vegetation – bzw. darum, diese zu verhindern oder rückgängig zu machen. Das betrifft uns überall – auch in der Schweiz.

Wie stark ist die Schweiz davon betroffen?

Je nach Datenquelle sind in der Schweiz heute nahezu 10 Prozent der Gesamtfläche degradiert und rund 20 Prozent der Ackerflächen gelten als erosionsgefährdet. Dazu kommt, dass auch bei uns Trockenheit und Überschwemmungen – zwei wichtige Treiber für Landdegradation – zunehmen. Darauf müssen wir reagieren.

Wie?

Die UNCCD orientiert sich an den folgenden Möglichkeiten und zwar in dieser Reihenfolge: Degradation vermeiden, Erosion reduzieren und Böden wiederherstellen. Weil der Aufwand unvergleichlich viel grösser ist, etwas rückgängig zu machen, als neue Schäden zu vermeiden, müssen wir in unseren Breitengraden bei der Landnutzung primär darauf achten, Erosion gar nicht erst entstehen zu lassen.

Was heisst das konkret?

Wir müssen uns zum Beispiel fragen: Produzieren wir unsere Pflanzen weiterhin intensiv und auf «nackter» Erde oder erhöhen wir die Bodenbedeckung, damit die Böden nicht austrocknen? Setzen wir immer mehr Dünger ein und gefährden unsere Biodiversität und unser Trinkwasser oder stellen wir auf nachhaltigere Anbaumassnahmen um? Bewässern wir unsere Felder weiterhin, bis unsere Flüsse kein Wasser mehr haben oder bauen wir Arten an, die weniger Wasser brauchen? Noch haben wir die Wahl und den Spielraum, um unser Landmanagement umzustellen und an die Klimaveränderung anzupassen.

____________________________________________________________________________

«Das Interesse, Massnahmen einzuleiten, hat in einigen Regionen zugenommen»

____________________________________________________________________________

Sie haben kürzlich an einem internationalen Meeting teilgenommen, bei dem überprüft wurde, wie weit die Länder bei der Umsetzung des UNCCD-Übereinkommens sind…

Dieses Committee for the Review of the Implementation of the Convention CRIC findet jedes Jahr statt, um die Berichte zu erörtern, die zeigen, was der Stand der Dinge in den jeweiligen Ländern ist. 2023 hat man gesehen, dass nicht alle Länder, die sich Ziele punkto Landdegradation setzten, über die letzte Periode berichtet haben. Und der Qualitätsunterschied zwischen den Berichten der Länder, die rapportiert haben, ist immens.

Bedeutet das, dass wenig bis nichts passiert?

Nein, es passiert schon etwas, wenn auch noch nicht ausreichend. Immerhin wächst in einigen Regionen das Interesse, die Landdegradation auf nationaler Ebene zu monitoren und Massnahmen zu ergreifen, um sie zu verhindern, zu verlangsamen oder rückgängig zu machen. Im November haben wir am CRIC in Samarkand zum ersten Mal nicht nur über Methoden und Indikatoren gesprochen, sondern auch über Ergebnisse. Es gibt jetzt auch ein Daten-Dashboard der UNCCD (siehe Box), das zeigt, wie die Länder rapportiert haben und wie es um die globale Landdegradation steht. Diese Transparenz macht die Konvention zugänglicher, und wir können uns damit befassen, wie sich die globale Kommunikation verbessern und der Ernst der Lage betonen lässt.

Discussion with Tatenda Lemann at the CRIC in Samarkand
Wie lässt sich lokales Wissen aus Zivilgesellschaft und von NGOs mit nationalen Reportings verknüpfen: Diskussion mit Tatenda Lemann am CRIC in Samarkand. Foto: Jean-Marc Sinnassamy


Was ist denn Ihre Rolle beim Reporting der Länder? 

Wir haben mit WOCAT, einem globalen Netzwerk für nachhaltiges Landmanagement, einzelne Länder bei diesem Reporting-Prozess unterstützt. Unter Verwendung von Cloud Computing haben wir gemeinsam mit verschiedenen Interessensgruppen einfach zu bedienende Apps entwickelt, die globale, nationale und lokale Daten und Informationen integrieren. Das ermöglicht es den Staaten, die globalen Standarddaten mit nationalem und lokalem Wissen zu verifizieren und zu verstehen, wo sich die Hotspots der Degradation befinden und welche Faktoren zur Degradation beitragen.

____________________________________________________________________________________

«Es ist viel Wissen über innovative und bewährte Praktiken vorhanden»

____________________________________________________________________________________

Eine App soll es richten?

Natürlich nicht allein! Um ein Problem anzugehen, muss man es aber zuerst erkennen, respektive anerkennen. Eine App in Form einer Geoplattform hilft, verschiedene Interessensgruppen wie Ministerien, Planungs- oder Biodiversitätsexpert*innen, Bauernkooperativen, NGOs, zivilgesellschaftliche Organisationen und Wissenschaftler*innen zusammenzubringen und eine gemeinsame Diskussion und Verhandlung darüber zu ermöglichen, was lokal und national relevant ist. Das ist zentral, um den effektiven Handlungsbedarf zu eruieren und in einem zweiten Schritt zu erörtern, wo sich welche Massnahmen am sinnvollsten implementieren lassen.

Das nötige Wissen hierfür ist vorhanden. Das beweisen all die innovativen und bewährten guten Praktiken von Landwirt*innen, die in der WOCAT-Datenbank gesammelt werden. Diese globale Datenbank für nachhaltiges Landmanagement enthält heute bereits über 2300 gute Praktiken aus 136 Ländern. Wir arbeiten daran, dieses Wissen zu skalieren und den Wissensaustausch zu fördern.

Wo sind die Hürden bei der Wissensvermittlung und Beratung in Sachen nachhaltigem Landmanagement?

Das ist von Region zu Region sehr unterschiedlich. Ein wichtiger Faktor ist zum Beispiel die Art der landwirtschaftlichen Beratung bzw. auch, wer diese durchführt. In der Schweiz etwa spielen die Agrarfirmen dabei eine grosse Rolle. Solange die Beratung primär von monetären Interessen abhängt, ist es schwierig, nachhaltige Lösungen voranzutreiben, die sozio-ökonomisch, aber auch ökologisch relevant sind. Genau das braucht es aber. Wir müssen uns auf die neuen Realitäten einstellen, die mit dem globalen Wandel einhergehen. Das betrifft nicht nur die Landwirtschaft. Es ist nötig, die Diskussionen, wofür und wie wir Boden und Wasser nutzen, auf allen Ebenen anzustossen – in der Politik, Wirtschaft und in der Gesellschaft. Wenn wir damit zuwarten, wird es selbst in der Schweiz zu Konfliktsituationen kommen. Und Konflikte lassen sich bekanntlich schwer lösen, wenn sie einmal ausgebrochen sind.

UNCCD

Ziel der UNCCD ist neben der Bekämpfung von Wüstenbildung, Dürren und Landdegradation die Wiederherstellung von Ökosystemen. Damit soll die Widerstandsfähigkeit von Land gegen die Klimaerwärmung gestärkt und der Verlust der biologischen Vielfalt vermieden werden. Der zweite globale Bericht über den Zustand der Landressourcen, «Global Land Outlook 2», erschien 2022.

WOCAT – Globales Netzwerk zu nachhaltigem Landmanagement

Die World Overview of Conservation Approaches and Technologies (WOCAT) ist ein globales Netzwerk, das 1992 gegründet wurde. Sein Ziel ist, die Landressourcen und Ökosysteme sowie die Lebensgrundlagen der Menschen zu verbessern. Das strebt es durch den Austausch, die Verbesserung und die Nutzung von Wissen über nachhaltiges Landmanagement an. Das CDE ist im Executive Team von WOCAT vertreten und hat als Gründungsmitglied eine zentrale Rolle. Das WOCAT-Konsortium besteht aus sieben Partnern: CDE, FAO, ISRIC, GIZ, Alliance CIAT-Biodiversity, ICIMOD und ICARDA.