«Wir müssen versuchen, gewisse Dinge auf den Kopf zu stellen»

Nachhaltigkeit haben sich viele Hochschulen auf die Fahne geschrieben. Wie aber steht es mit der Umsetzung? In Bern tut sich gerade einiges. So haben die Hochschulen vereinbart, im Bereich «Bildung für Nachhaltige Entwicklung» (BNE) zusammenzuspannen. CDE-Wissenschaftlerin Lilian Trechsel leitet an der Uni Bern das BNE-Mandat. Sie ist überzeugt: Die Hochschulen können dabei viel voneinander lernen.

Will kreativ an die Sache gehen: Lilian Trechsel. Foto: CDE


Interview: Gaby Allheilig

Die Berner Hochschulen wollen Bildung für Nachhaltige Entwicklung künftig nicht nur einzeln, sondern auch gemeinsam stärken. Ist das ein bedeutender Schritt oder bloss eine Absichtserklärung?

Diese Vereinbarung ist aus meiner Sicht zentral. Man spricht ja oft davon, dass man mehr Kooperation statt Konkurrenz wolle. Genau das ist hier der Fall: Man will Synergien bewusst nutzen und strebt eine echte Zusammenarbeit unter den Hochschulen an. Damit beweist man den Mut, gewisse Dinge auf den Kopf zu stellen und von den traditionellen Strukturen etwas loszulassen, wo jede Hochschule vor allem für sich schaut und ihr Alleinstellungsmerkmal sucht. Gleichzeitig geht es auch darum, punkto BNE die Stärken und Erfahrungen der jeweiligen Hochschule einzubringen und voneinander zu lernen. Und schliesslich will man auch Grundlagen für eine bessere Wissenschaftskultur schaffen, wie sie beispielsweise die «better science»-Initiative fördert: also eine Wissenschaftskultur, die von Fairness, Wertschätzung, Diversität und ganzheitlicher Beurteilung geprägt ist.

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«Bildung für Nachhaltige Entwicklung ist mehr als Lehre»

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Worum geht es im Kern: um die Zusammenarbeit der Hochschulen oder darum, wie diese die Studierenden für nachhaltige Entwicklung sensibilisieren und ihnen ein zukunftsgerichtetes Instrumentarium in die Hand geben können?

Bei BNE geht es darum, dass die Studierenden komplexe Probleme der Gegenwart und Zukunft verstehen und angehen können. Das bedingt unter anderem, dass sich möglichst viele Akteur*innen – auch ausserhalb der Hochschulen – in den Such-, Lern- und Gestaltungsprozess einbringen, der eine nachhaltige Entwicklung ermöglicht. Dafür müssen die Hochschulen die Art, wie gelehrt und gelernt wird, verändern. Zudem können wir die heutigen und künftigen Herausforderungen und Krisen nicht mehr mit einzelnen Disziplinen oder in einzelnen Institutionen lösen, sondern es braucht auch inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit.

BNE ist also mehr als Lehre. Es ist der Versuch, den Dialog zwischen Gesellschaft, Politik und Wissenschaft für eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Darum ist es nicht mehr als konsequent, wenn die Hochschulen dabei gemeinsam an einem Strick ziehen.

Und wie wirkt sich das konkret auf die Lehre bzw. das Studium aus?

Statt sich nur Wissen anzueignen, sollen die Studierenden ihre Fähigkeiten stärken und neue Fertigkeiten erwerben, die sie auch in anderen Situationen als in ihren Spezialgebieten oder im späteren Berufsleben anwenden können – im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung natürlich.

Braucht es also kein disziplinäres Wissen mehr?

Doch, auf jeden Fall. Die Studierenden werden nach wie vor in Disziplinen ausgebildet. Parallel dazu sollen sie jedoch auch inter- und transdisziplinäre Kompetenzen festigen können. Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch.

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«Die Hochschulen setzen ein klares Zeichen»

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Auch wenn man mit der Vereinbarung punkto BNE einen Schritt nach vorne macht, bleibt sie in einigen Punkten doch sehr vage.

Es war nicht das Ziel dieser Vereinbarung, alle Hochschulen über einen Leisten zu schlagen. Eine Pädagogische Hochschule hat einen anderen Auftrag als eine Universität. Hier muss jede Hochschule für sich auslegen, wie breit und intensiv sie BNE versteht und umsetzen kann. Neben den bereits erwähnten Chancen, die die Vereinbarung bietet, gilt es festzuhalten, dass die Hochschulen damit auch ein klares Zeichen setzen.

Nämlich?

Dass im Bildungsbereich nicht nur Themen wie Digitalisierung sehr wichtig sind, sondern auch Bildung für Nachhaltige Entwicklung – und dass es hier ebenfalls einer Förderung bedarf.

Gleichzeitig haben die Berner Hochschulen auch konkrete Massnahmen angestossen wie die Gestaltung einer neuen, gemeinsamen Website zum Bereich BNE, eine verbesserte Koordination bei Events zu nachhaltiger Entwicklung, etc.

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«Die Berner Hochschulen unterstützen studentische Nachhaltigkeits-Projekte künftig gemeinsam»

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Bei den Events spannen die Berner Hochschulen seit 2017 beim gemeinsamen Nachhaltigkeitstag zusammen. Dort zeigen sie, was sie einzeln und gemeinsam für die Umsetzung der Nachhaltigkeit leisten. Heuer wurde an diesem Anlass auch eine hochschulübergreifende Plattform, ein «Hub» für studentisches Engagement in Sachen Nachhaltigkeit lanciert. Was hat es damit auf sich?

Mit dem Hub «Students4Sustainabilty» hat sich der Hochschulplatz Bern dazu entschieden, gemeinsam das auslaufende Programm «U Change» der Akademien der Wissenschaften in ähnlicher Form weiterzuführen. Die Absicht dahinter ist, Studierende darin zu unterstützen, ihre eigenen Projektideen für nachhaltige Entwicklung umzusetzen.

Zeigt mit dem BNE-Team an der Universität Bern den Disziplinen konkrete Anknüpfungspunkte zur nachhaltigen Entwicklung auf: Lilian Trechsel. Foto: CDE


So wird es im nächsten Frühjahr zum Beispiel eine hochschulübergreifende Vorlesungsreihe «Reclaiming Economics for a Sustainable Transformation» geben, die zeigt, welchen Beitrag die pluralistische Volkswirtschaftslehre zu einer nachhaltigen Transformation leisten kann. Der Anstoss dazu kam von Studierenden und sie sorgen mit einer finanziellen Unterstützung nun selbst dafür, dass diese wie von ihnen gewünscht stattfindet. Der Hub fördert aber auch ganz praktische Projekte im Bereich Nachhaltigkeit, die Studierende zusammen mit Akteur*innen ausserhalb der Hochschulen aufgleisen. Insgesamt stehen dafür 50'000 Franken pro Jahr zur Verfügung.

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«Eigene Projekte umzusetzen, führt zu sehr tiefen Lernerfahrungen»

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Welche Wirkung erzielen solche Projekte?

Einerseits bringen auch diese Projekte Hochschulen und gesellschaftliche Akteure näher zusammen, was gerade im Fall der Universität, an der die Lehrveranstaltungen meist in den eigenen Gebäuden stattfinden, sehr wertvoll ist. Andererseits – und das scheint mir enorm wichtig – führen solche selbst organisierten und durchgeführten Vorhaben oft zu sehr tiefen Lernerfahrungen, die deutlich über das hinausgehen, was eine klassische Lehrveranstaltung zu leisten vermag. Das hat beispielsweise eine Studie gezeigt, die wir 2023 veröffentlichten.

Um auf die Uni Bern zu kommen: Silvia Schroer, bis vor Kurzem noch Vizerektorin, sagte bei ihrem Abschied, die Universität habe bei BNE die Nase schweizweit und sogar international ziemlich weit vorn. Sie meinte aber auch: «Die Implementierung der geforderten Doppellektion Nachhaltige Entwicklung in den Studienprogrammen holpert auch nach sechs Jahren noch». Sie leiten am CDE für die Uni Bern dieses Mandat. Wie wollen Sie es schaffen, dass die Institute engagierter mitziehen?

Universitäten haben aufgrund ihrer langen Traditionen und historisch geprägten Strukturen generell ein langsames Veränderungstempo. Dass es bei der angesprochenen Doppellektion noch holpert, hat meiner Meinung nach vor allem drei Gründe. Erstens sind die Organisationsstrukturen an den verschiedenen Fakultäten sehr unterschiedlich. Nicht alle Fachrichtungen bieten inhaltlich wiederkehrende Lehrveranstaltungen an. Die Doppellektion hingegen ist darauf ausgerichtet, dass sie immer wieder stattfindet, damit sie alle Studierenden besuchen können. Zweitens gibt es auch noch gewisse Widerstände gegenüber dem Themenfeld nachhaltige Entwicklung, weil einige Disziplinen ihren Bezug zu nachhaltiger Entwicklung noch nicht entdeckt haben. Hier unterstützen wir sie, indem wir ihnen konkrete Anknüpfungspunkte aufzeigen.

Und drittens?

Drittens sind die meisten Dozierenden zeitlich sehr stark belastet. Sie sind in der Forschung und Lehre tätig, betreuen Studierende, akquirieren Forschungsgelder und leiten Teams. In diesem Setting zusätzlich Inhalte zu nachhaltiger Entwicklung zu erarbeiten und im Hinblick darauf die eigene Disziplin kritisch zu reflektieren, kann als belastend empfunden werden. Deshalb bieten wir zahlreiche Materialien und Dienstleistungen an, um die Umsetzung zu erleichtern.

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«Es braucht den Mut, neue Wege einzuschlagen»

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Es gibt inzwischen spannende Beispiele, wie das gelingen kann. So hat das Institut für Kunst und Design mit Studierenden gerade kürzlich eine Youtube-Reihe realisiert, in der sie Lösungen für nachhaltiges Bauen zeigen. In der Geologie betreiben Studierende «Urban Mining»: Sie setzen sich dabei intensiv mit dem Thema «Nachhaltige Abfall- und Ressourcennutzung im Sinne der Kreislaufwirtschaft» auseinander und erleben in einer Abfallentsorgungsanlage hautnah, wie sich Materialkreisläufe nachhaltig schliessen lassen. Die Vetsuisse-Fakultät wiederum ist daran, Arbeiten im Bereich nachhaltiger Entwicklung zu fördern und diese mit neuartigen Lehr-Lernformen im Lehrplan zu verankern.

Das zeigt: Es braucht den Mut, neue Wege einzuschlagen. Und wir müssen mit Kreativität an die Sache gehen und versuchen, gewisse Dinge auf den Kopf zu stellen.