Interview: Gaby Allheilig
Bis zu 90 Prozent der globalen Entwaldung gehen gemäss der FAO auf Rodungen für die Landwirtschaft zurück – unter anderem für Kaffee und Kakao. Allein in Peru wurden zwischen 2001 und 2021 über 2,7 Millionen Hektar Amazonaswald zerstört. Löst die neue Entwaldungs-Verordnung EUDR dieses Problem?
Ziel der EUDR ist es, den EU-Anteil an der weltweiten Entwaldung zu verringern. Im Fall von Peru lässt sich die Entwaldung jedoch nicht auf eine einzelne Ursache zurückführen. Vielmehr spielen verschiedene direkte und indirekte Faktoren auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene eine Rolle. Zu den wichtigsten zählen Landwirtschaft, Viehzucht, Bergbau, kommerzieller Holzschlag sowie der Ausbau von Strassen. Die Umsetzung der EUDR in Peru hängt davon ab, wie gut es dem Land gelingt, die Vorgaben der Verordnung in seine nationalen Gesetze und Strategien zu integrieren und diese auch auf lokaler Ebene durchzusetzen.
____________________________________________________________________________________
«Kleinbäuerinnen und -bauern laufen Gefahr, noch abhängiger zu werden»
____________________________________________________________________________________
Die EU ist die grösste Importeurin von peruanischem Kaffee und Kakao. Über 300'000 Produzent*innen, die meisten davon Familienbetriebe, bauen diese Produkte an. In Ihrer Studie geben Sie zu bedenken, dass die Kleinproduzent*innen stärker von den Aufkäufern abhängig werden könnten. Wieso das?
Ein Beispiel für die Anforderungen der EUDR ist die Erfassung von Geolokalisierungsdaten für landwirtschaftliche Parzellen. Dafür benötigen Landwirt*innen Zugang zu Technologien wie GPS, Drohnen und Satellitenbildern. Gleichzeitig müssen sie geschult werden, wie sie diese effektiv nutzen können. Derzeit sind die meisten Kaffee- und Kakao-Kleinbäuerinnen und -bauern nicht in der Lage, diese Vorgaben zu erfüllen. Das erhöht das Risiko, dass sie noch abhängiger von Käufern, Zwischenhändlern oder Anbietern professioneller Geolokalisierungs- und Managementdienste werden, um weiterhin Zugang zum EU-Markt zu erhalten – oder aber davon ausgeschlossen werden.
Fast 30 Prozent des Kaffees und Kakaos, den Peru in die EU exportiert, sind biozertifiziert. Für Bioprodukte braucht es ohnehin schon Geodaten. Warum lässt sich das nicht relativ einfach skalieren?
Detaillierte Informationen über jede Produktionseinheit zu beschaffen, inklusive geografischer Daten und Risikozonen, ist mit Zusatzkosten verbunden. Bei Fairtrade- oder Bioprodukten werden diese extra bezahlt. Bei konventionellen Produkten sind diese Kosten nicht gedeckt. Deshalb lässt sich dieses Modell nicht ohne Weiteres in grossem Massstab anwenden. Das würde mehr Investitionen seitens mittlerer und grosser Kakao- und Kaffeeunternehmen sowie mittelfristig höhere Preise für Kakao- und Kaffeebohnen erfordern.
________________________________________________________________________________________
«Mit der EUDR wird Perus Regierung langfristig diesen Wertschöpfungsketten mehr Aufmerksamkeit schenken müssen»
________________________________________________________________________________________
Wäre das nicht eine Chance, um Genossenschaften zu fördern und Kleinbauernfamilien zu stärken?
In Peru sind weniger als 30 Prozent der Kakao- und Kaffeeproduzent*innen in Genossenschaften oder anderen Organisationen zusammengeschlossen. Wir wissen auch nicht, wie viel von der heutigen Produktion der Kleinbäuerinnen und -bauern über Zwischenhändler oder informelle Händler in die internationalen Lieferketten gelangt. Um der EUDR gerecht zu werden, wird die Regierung diesen Wertschöpfungsketten und der Frage, wie sich Kleinbauernfamilien langfristig besser in die formelle Wirtschaft integrieren lassen, deutlich mehr Aufmerksamkeit schenken müssen. Das ist sicher ein möglicher Vorteil der neuen Verordnung.
Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Produzent*innen ihre Produkte nicht in die EU exportieren, sondern auf andere Märkte mit weniger strengen Vorschriften ausweichen.
Das ist eine Sorge und auch eine Reaktion einiger peruanischer Produzent*innen. Aber sie erkennen auch, dass sie Teil von Märkten und Wertschöpfungsketten sind, die die EUDR-Anforderungen erfüllen müssen. Und es gibt einen weiteren Trend: Die EU hat eine Vorreiterrolle bei entwaldungsfreien Agrargütern übernommen. Es gibt aber weitere Länder ausserhalb der EU, die ähnliche Regelungen erwägen. Obwohl es für die Produktionsländer im Moment noch kompliziert ist, diese Anforderungen zu erfüllen, wird immer deutlicher, dass dies der Markt der Zukunft ist. Der gesamte Prozess kann also auch als Chance gesehen werden.
___________________________________________________________________________________
«Für eine nachhaltigere Landnutzung braucht es Verbesserungen bei der Raumplanung und -gouvernanz»
___________________________________________________________________________________
Peru hat in den letzten Jahren mehrere Strategien, Gesetze und Massnahmen verabschiedet, um Entwaldung und Treibhausgasemissionen einzudämmen. Das Land sollte also für die EUDR gut gerüstet sein.
Peru verfügt tatsächlich über einen soliden nationalen Rechts- und Politikrahmen, der auch internationale Verpflichtungen umfasst, um die Entwaldung einzudämmen. Leider sind die Entwaldungsraten trotzdem nach wie vor hoch. Ein Grund dafür ist die mangelnde Durchsetzung von Vorschriften, insbesondere im Bereich der Raumplanung. Für eine nachhaltigere Landnutzung braucht es Verbesserungen bei der Raumplanung und -governance, vor allem auf regionaler und lokaler Ebene.
Auch der Dialog, der Informationsaustausch und die Koordination unter den zuständigen Behörden sollten gefördert werden – vor allem auf dezentraler Ebene, wo die Anbauflächen sind. Heute ist der Staat dort nur begrenzt präsent und kann nicht wirklich überwachen, ob die Massnahmen korrekt umgesetzt werden und entsprechend darüber Bericht erstattet wird.
In Ihrer Studie schlagen Sie vor, dass die peruanische Regierung unter anderem die Vergabe von Landtiteln und Bewirtschaftungskonzessionen überarbeiten sollte. Normalerweise dauern solche Verfahren länger als die von der EU gesetzte Frist für die Umsetzung der EUDR.
Der kurze Zeitrahmen für die Umsetzung einer solchen Gesetzesänderung ist eine Herausforderung, die derzeit in der EU diskutiert wird. Weil die Details zu den erforderlichen Dokumenten und Bewertungsverfahren noch weitgehend fehlen, priorisieren Länder wie Peru die Anforderungen, die klar sind – wie die Erfassung von Geolokalisierungsdaten. Gleichzeitig findet ein Wandel in den Lieferketten und ihrer Regulierung statt. Das erfordert ein anpassungsfähiges Management und kontinuierliche Verbesserungen, um eine erfolgreiche Umsetzung zu gewährleisten.
__________________________________________________________________________________
«Kohärente Anreize könnten es den Kleinproduzent*innen ermöglichen, bessere Preise zu erzielen»
__________________________________________________________________________________
Welche Möglichkeiten hat Peru sonst noch, die EUDR so umzusetzen, dass diese sich nicht negativ auf die peruanischen Kleinproduzent*innen und die Wertschöpfungsketten auswirkt?
Wir haben mögliche Wege gefunden, um die wichtigsten Risiken bei der Umsetzung der EUDR anzugehen. So wäre es zum Beispiel hilfreich, ein kohärentes Bündel von Anreizen zu schaffen, das Kleinbäuerinnen und -bauern ermutigt, verschiedene Kulturen anzubauen, Tiere zu züchten und eine CO2-Zertifizierung für ihre Waldflächen zu erhalten. Solche Anreize könnten die Wertschöpfungsketten von Kakao und Kaffee langfristig nachhaltiger machen – und es den Kleinbauernfamilien ermöglichen, bessere Preise für ihre Produkte zu erzielen und ihre Bedürfnisse zu befriedigen.
Sie weisen auch auf ein Risiko hin, das Peru besonders betrifft: Dass Kleinproduzent*innen, die aus den Lieferketten in die EU ausscheiden, sich (wieder) illegalen Aktivitäten zuwenden könnten – wie dem Kokaanbau. Wie gross ist die Gefahr, dass jahrzehntelange Bemühungen, Kaffee oder Kakao statt Drogen anzubauen, unbeabsichtigt zunichte gemacht werden?
Die Kakao- und Kaffeeproduktion in Peru wurde vor allem durch staatliche Massnahmen aufgebaut und verbreitet. Die Regierung hat den Bauernfamilien Anreize geboten, damit diese den Kokaanbau aufgeben und mit dem Anbau und der Vermarktung von Kakao und Kaffee in die formelle Wirtschaft einsteigen. Eines der unbeabsichtigten Risiken der EUDR besteht tatsächlich darin, dass Bäuerinnen und Bauern wieder zu illegalen Aktivitäten zurückkehren könnten. Aber angesichts der aktuell hohen Preise für Produkte wie Kakao dürfte diese Gefahr im Moment eher gering sein.
_________________________________________________________________________________
«Die Massnahmen müssen von der Privatwirtschaft und internationalen Akteuren mitgetragen werden»
_________________________________________________________________________________
Was gibt Ihnen Hoffnung, dass Peru all diese Schwierigkeiten meistert?
Die Produktionsländer müssen grosse Anstrengungen unternehmen, um die EUDR-Bestimmungen zu erfüllen, und Peru verfolgt diesen Weg. So hat zum Beispiel das Landwirtschaftsministerium damit begonnen, ein öffentliches Register von Agrarproduzent*innen aufzubauen, das auch die Geolokalisierung der Parzellen umfasst. Solche Massnahmen müssen jedoch von der Privatwirtschaft und internationalen Akteuren mitgetragen werden. Ein ermutigendes Signal in diesem Zusammenhang ist, dass die EU plant, Peru in kommende Kooperationsprojekte einzubeziehen, um das erwähnte Register besser mit den Bedürfnissen des Privatsektors zu verknüpfen. Ich hoffe daher, dass die Produktionsländer – sobald alle Verfahren zur Umsetzung der EUDR geklärt sind – Anreize erhalten, um besser auf die Anforderungen reagieren zu können.
Und wie sieht es mit den Konsument*innen im globalen Norden aus?
Wenn sich die Gesellschaften des globalen Nordens gegen die Entwaldung einsetzen, sollten sie auch diese Bemühungen anderer Länder anerkennen und ihre Konsumvorlieben anpassen. Die Produktionsländer beeilen sich jetzt, die EUDR-Vorschriften zu erfüllen. Aber gleichzeitig muss auch sichergestellt sein, dass sie weiterhin Zugang zum EU-Markt haben. Die Lösung globaler Probleme wie der Entwaldung kann nicht allein die Aufgabe einzelner Akteure sein. Hersteller- und Verbraucherländer aus dem globalen Süden und Norden zusammenzubringen, erfordert ein koordiniertes, weltweites Engagement – und zwar nicht nur von Regierungen, sondern von allen, die einen Beitrag leisten können.
Die Studie «Human rights and environmental due diligence regulations for deforestation-free value chains? Exploring the implementation of the EU Deforestation-free products Regulation in the Cocoa and Coffee Sectors of Peru» von Jimena Solar Alvarez et al. wird demnächst veröffentlicht.