Sie organisieren während des Semesters Filmabende, Vorträge, Fübis und Diskussionsrunden: VWelles – Rethinking Economics Bern, eine Projektgruppe, die sich überwiegend aus Wirtschaftsstudierenden und -Absolvent*innen zusammensetzt. Jetzt erhalten sie von der Universität Bern den Prix Lux, der die Chancengleichheit fördert.
Auslöser war eine Vorlesungsreihe, die im Frühjahr 2024 stattfand. Sie sollte den Studierenden zeigen, dass es neben der neoklassischen Wirtschaftstheorie noch andere Denkschulen gibt, die für die Analyse und Bewältigung der anstehenden Probleme unserer Gesellschaft wichtig sind. Denn, so die Gruppe: «Warum gibt es immer noch Armut trotz Wirtschaftswachstum? Wie können wir der Klimakrise nachhaltig begegnen?»
Ein Wirtschaftsstudium, das sich fast ausschliesslich des Werkzeugkastens des wirtschaftstheoretischen Mainstreams bedient (grösstenteils basierend auf der neoklassischen Denkschule), so die Überzeugung von VWelles, reicht allein nicht aus, um solche Fragen zu beantworten.
«Was heute gelehrt wird, hat nicht zu einer nachhaltigen Gesellschaft geführt»
Christoph Bader, Leiter der Studienprogramme in Nachhaltiger Entwicklung am CDE und selbst Ökonom, sieht dies ähnlich: «Was heute gemeinhin als Wirtschaftstheorie gelehrt wird, hat ganz offensichtlich nicht dazu geführt, dass unsere Welt und unsere Gesellschaften nachhaltig unterwegs sind.» Daher diskutiere das CDE in den Modulen zur Nachhaltigen Entwicklung seit Langem und im Rahmen des Möglichen auch andere Wirtschaftstheorien.
Ein Beispiel dafür ist die feministische Ökonomie, die «eine andere Perspektive auf Arbeit und Wirtschaft allgemein eröffnet», so Nicolà Bezzola, Wirtschaftshistoriker und Ökonom am CDE. «Indem sie zum Beispiel den enormen Anteil der unbezahlten Arbeit, Gender-spezifische Zusammenhänge und Machtstrukturen in unserem Wirtschaftssystem in den Vordergrund rückt, liefert sie Modelle und Ansätze, um blinde Flecken in der Wirtschaft anzugehen mit dem Ziel, ein ‘gutes Leben’ für alle zu ermöglichen.»
«Heterodoxe» Theorien als Hilfe, um Herausforderungen systemisch anzugehen
Auch andere «heterodoxe» Denkschulen wie die postkeynesianische, die ökologische oder die marxistische Ökonomie seien hilfreich, um die heutigen, grossen Herausforderungen systemisch anzugehen. Die einen, weil sie für die krisenanfälligen Finanzmärkte andere Politikempfehlungen anbieten als die bekannten Standardmassnahmen wie Zinsen senken und erhöhen; die anderen, weil sie deutlich mehr Instrumente als nur Lenkungsabgaben und den Handel mit Emissionsrechten bereithalten, um die von der Wirtschaft verursachten Umweltschäden in den Griff zu bekommen. Oder schliesslich solche, die wissenschaftlich untersuchen, wie sich Machtungleichgewichte auf ein Wirtschaftssystem auswirken.
Ziel ist, ein vielfältiges Instrumentarium anzubieten
Kurz: «Wir wollen den Studierenden ein möglichst vielfältiges Instrumentarium aufzeigen, wie sie Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit finden können und welchen Beitrag eine pluralistische Volkswirtschaftslehre zu einer nachhaltigen Transformation leisten kann.»
Das war auch der Grund, weshalb die Studierenden mit der Initiative für eine Vorlesungsreihe in Pluraler Ökonomie ans CDE gelangten, sozusagen als Fortsetzung des Lehrangebotes in Nachhaltiger Entwicklung. Und die Studienleitung sagte ja, half organisieren und prüfte die Absolvent*innen nach wissenschaftlichen Kriterien.
Probeweise ins offizielle Studienprogramm der Volkswirtschaftslehre integriert
Das grosse Engagement der Studierenden, die die Vorlesungsreihe initiierten, zeigt laut Christoph Bader nicht nur den Bedarf an der Vermittlung weiterer Wirtschaftstheorien. Vielmehr wertet er es auch als Erfolg, dass die Vorlesungsreihe im Frühjahr 2026 probeweise ins offizielle Studienprogramm der Volkswirtschaftslehre integriert und anrechenbar gemacht wird. «Das zeigt, dass dem auch eine gewisse Relevanz beigemessen wird.»
Und wie sehen das die Studierenden? Einer der wenigen, die ihr Volkswirtschaftsstudium mit dem Studium in Nachhaltiger Entwicklung kombiniert hat, ist Max Strässle. Motiviert vom Gedanken, dass er lernen würde, wie man mit ökonomischen Massnahmen etwa den Klimawandel angehen könnte, erhoffte er sich entsprechende Theorien und Instrumente vermittelt zu bekommen. Im Wirtschaftsstudium seien mögliche Wege aus der Klimakrise, der sozialen Ungleichheit oder die Frage, wie wir im Einklang mit der Natur wirtschaften können, jedoch nicht ausreichend thematisiert worden. Deshalb fand er es «mega bereichernd», dass neben der Neoklassik auch weitere Denkschulen in die Vorlesungsreihe eingeflossen sind.
Studierende schätzen den kritischen Austausch und die Diskussionskultur
Sehr wertvoll seien für ihn auch der kritische Austausch und die Diskussionen mit Kolleg*innen anderer Studienrichtungen und den Dozierenden darüber gewesen, was Wirtschaft ist, kann und soll. «Das steigert das Bewusstsein für solche Themen sowohl in der Volkswirtschaftslehre als auch in anderen Disziplinen», ist er überzeugt und ergänzt: «Wenn die Vorlesungsreihe im Volkswirtschaftsstudium anrechenbar wird, ist das eine riesige Chance: Die Studierenden dieses Fachs kommen dann mit einer Diskussionskultur und anderen Disziplinen in Berührung. Denn wenn man Wirtschaft studiert, kann es schnell passieren, dass man die Welt nur noch in Kategorien von Geld und Funktionen sieht – und nicht mehr an Menschen, Natur und Kultur denkt.»
Auch für Lisa Linder, die kürzlich ihren Master in Geschichte und Nachhaltige Entwicklung abgeschlossen hat, waren die Gespräche mit Studierenden anderer Fachrichtungen ein grosser Gewinn: «Wir führten auch in den Pausen spannende Diskussionen über das Verhältnis von Wirtschaft und gesellschaftlichen Fragen, die uns alle betreffen.»
«Das spricht klar für mehr interdisziplinäre Vorlesungen»
Angetrieben davon, wie man eine Gesellschaft gemeinschaftlich und nachhaltig entwickeln könne, hatte sie im Bachelorstudium die Einführungsvorlesungen in der Wirtschaftslehre besucht. «Über das, was mich bewegte, wurde aber nicht gesprochen.» Erst die Vorlesungsreihe von VWelles habe ihr gezeigt, dass es andere Ansätze in den Wirtschaftswissenschaften gebe. «Während die Neoklassik davon ausgeht, Wachstum sei zwingend, um Wohlstand zu fördern bzw. zu erhalten, fragen andere Denkschulen unter anderem auch danach, ob wir nicht mit weniger oder gleich viel Ressourcen denselben Wohlstand oder sogar ein besseres Leben erreichen können.»
Wichtig war die Vorlesungsreihe für sie auch, weil diese ihr die theoretischen Grundlagen vermittelt und das Vertrauen gegeben habe, in ihrer Masterarbeit in Geschichte das Thema Energiesteuerreformen in der Schweiz zu bearbeiten. «Das spricht klar für mehr interdisziplinäre Vorlesungen.»