«Die EU agiert in der Forschungszusammenarbeit mit Afrika deutlich moderner als die Schweiz»

Während die EU bei der Forschungszusammenarbeit mit Afrika Gas gibt und innovative Förderinstrumente schafft, verharrt die Schweiz in alten Positionen. «Man sieht das Potenzial der Länder des globalen Südens nicht», so CDE-Direktor Thomas Breu und Präsident der Kommission für Forschungspartnerschaften mit Entwicklungsländern KFPE. Dabei wäre dringend mehr Bewegung nötig, um die globalen Herausforderungen und Krisen gemeinsam anzupacken – «auch im eigenen Interesse», wie er betont.

«Die Schweiz verpasst es, im globalen Süden in Wissenskapazitäten und -systeme zu investieren»: Thomas Breu. Foto: Manu Friederich


Interview: Gaby Allheilig

Die EU hat punkto Forschungszusammenarbeit mit Afrika grosses im Sinn: Im Rahmen von Programmen wie ARISE und dem hochrangigen Politikdialog mit der Afrikanischen Union über Wissenschaft, Technologie und Innovation fördert sie die Spitzenforschung von afrikanischen Wissenschaftler*innen und will dazu beitragen, «die Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit dem europäischen Kontinent auszubauen». Sind das nur nette Worte oder entsteht hier ein neuer Forschungsriese zwischen der EU und der Afrikanischen Union?

Hinter diesen Programmen steht ein politisches Engagement der EU-Kommission mit der Afrikanischen Union. Dabei ist die Forschung auf höchster politischer Ebene als eine der Top-Prioritäten festgehalten. Die EU verfügt denn auch bereits über zahlreiche Instrumente, um Bildung und Forschung mit, in und zwischen afrikanischen Ländern zu fördern. Hinzu kommt der sogenannte zweite Pfeiler des Horizon Europe Programms: Dieser ist auf die Forschung zu globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Energie, Ernährungssicherheit, etc. ausgerichtet und mit rund 50 Mrd. Euro geäufnet. Auch diese Finanzierungsquelle kann für die Forschungszusammenarbeit mit afrikanischen Ländern verwendet werden. Angesichts all dieser Vereinbarungen und Fördertöpfe erachte ich die Absichten der EU nicht als Lippenbekenntnis, sondern als glaubwürdige Bereitschaft, die Forschungszusammenarbeit mit Afrika deutlich auszubauen.

Auch China treibt die Forschungszusammenarbeit mit Afrika voran. Woher kommt dieses Interesse?

China ist zwar zu einer Wissenschaftsmacht geworden, aber ich denke nicht, dass es den Chinesen in erster Linie darum geht, ihre Forschung durch den Einbezug von Wissenschaftler*innen aus dem globalen Süden relevanter zu machen oder zu verbessern. Vielmehr sehen sie in der Forschungszusammenarbeit die Möglichkeit, sich alternative Zugänge zu Politik und Märkten in Afrika zu verschaffen. Auch bei der EU sind die wirtschaftlichen und politischen Komponenten klar erkennbar. Allerdings ist da das Grundverständnis der Forschungszusammenarbeit glaubwürdiger und moderner in dem Sinn, als man eingesehen hat, dass wir globale Nachhaltigkeitsprobleme haben, die wir gemeinsam angehen müssen.

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«Wie unsere Zukunft aussieht, wird sich weitgehend im globalen Süden entscheiden»

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Das heisst?

Wie unsere Zukunft aussieht, ob und wie es uns insgesamt gelingt, die heutigen Krisen und Nachhaltigkeitsfragen zu meistern, wird sich weitgehend im globalen Süden entscheiden. Dabei wird es entscheidend sein, ob und wie sich andere Entwicklungen einleiten lassen als im Norden, der zu einem grossen Teil über die Ausbeutung und den Verbrauch von Ressourcen – gerade auch auf Kosten des Südens – vorangekommen ist. Damit verbunden ist natürlich auch die Frage, ob es gelingt, die bestehenden Machtgefälle zwischen globalem Norden und Süden zu überwinden. Diese Elemente – Eigeninteresse, Solidarität und die Einsicht, dass gemeinsame Forschung für nachhaltige Entwicklung zentral ist – sind bei den EU-Forschungsprogrammen spürbar.

Zur Schweiz: Sie ist nach wie vor vom grössten Forschungsprogramm der Welt, Horizon Europe, ausgeschlossen. Ihre eigenen Bemühungen um eine intensivere Forschungszusammenarbeit mit dem globalen Süden sind – freundlich ausgedrückt – überschaubar. Droht die Schweiz einmal mehr ins Hintertreffen zu geraten?

Diese Gefahr besteht tatsächlich bzw. ist schon Realität. Gerade in Afrika hatte die Schweiz eine lange Tradition in der Forschungszusammenarbeit. Finanziell war der Umfang nicht riesig, setzte aber Standards, wie man Forschung in afrikanischen Ländern sinnvoll und nachhaltig unterstützen kann. Beispiele dafür sind noch heute bestehende Forschungseinrichtungen wie das Centre Suisse de Recherches Scientifiques in Côte d'Ivoire, das Ifakara Health Institute in Tansania, CETRAD in Kenia oder das Water and Land Resource Centre in Äthiopien – alles Institutionen, an deren Aufbau die Schweiz massgeblich beteiligt war. Gegenüber früher hat die Schweiz in der Forschungszusammenarbeit mit afrikanischen Ländern aus meiner Sicht leider klare Rückschritte gemacht.

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«Unsere Entwicklungszusammenarbeit ist getrieben von einer Politik, die sich an kurzfristigen Zielen orientiert»

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Wie erklären Sie sich das?

Erstens hängt das stark damit zusammen, wie sich die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz heute positioniert. Man ist getrieben von einer Politik, die sich an kurzfristigen Zielen orientiert. Der Fokus auf eine breite, gesellschaftlich nachhaltige Entwicklung in den Ländern des Südens kommt dabei zu kurz. Zweitens sind die Zuordnungen zwischen den verschiedenen Departementen des Bundes unklar und schlussendlich fühlt sich niemand richtig dafür verantwortlich.

Mangelt es an einer strategischen Vision punkto Forschungs-Aussenpolitik?

Ich denke, die Schweiz verfolgt in der Forschungs-Aussenpolitik einen sehr klassischen Ansatz: Man investiert in die Zusammenarbeit mit den herkömmlichen Wissensnationen und -märkten, sprich den OECD-Ländern, damit man dort mitmachen kann. Zudem versucht man, sich über kleinere Aktivitäten wie Swissnex in potenziellen künftigen Wissensmärkten – den Schwellenländern – ein paar Optionen offen zu halten. Das Potenzial der Länder des globalen Südens – selbst jener mit höchsten Wirtschaftswachstumsraten – sieht man nicht. Man verpasst es schlicht, dort in Wissenskapazitäten und -systeme zu investieren, obwohl wir ja selbst davon profitieren würden, wenn wir gemeinsam mit diesen Ländern mehr dazu beitragen könnten, die globalen Herausforderungen anzugehen. Da lässt sich eine strategische Weitsicht nur schwerlich erkennen. Der wesentlichste Punkt aber ist: Die EU agiert in der Forschungszusammenarbeit gerade mit Afrika deutlich moderner als die Schweiz.

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«Stünde es der Schweiz nicht gut an, wenn sie in ihrer internationalen Zusammenarbeit eine Priorität bei der Forschungszusammenarbeit setzen würde?»

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Wegen des schieren finanziellen Volumens, das die EU investiert?

Nicht primär deshalb. Der grosse Unterschied besteht darin, dass die EU viele Finanzierungsgefässe hat, die offen sind. Das heisst, sie kann afrikanische Forschende und Forschungsinstitutionen sowie Austauschprogramme voll unterstützen, ohne dass die betreffenden Länder sich auch finanziell daran beteiligen müssen. In der Schweiz hingegen gibt es nur ein spezifisches Gefäss für gemeinsame Forschung zu globalen Herausforderungen, mit dem sich auch Forschende aus dem globalen Süden finanzieren lassen: das Solution-oriented Research for Development (SOR4D) Programm, das von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA mit rund fünf Mio. Franken pro Jahr ausgestattet ist. In fast allen anderen öffentlichen Förderprogrammen ist es nicht möglich, Forschende aus dem Ausland mitzufinanzieren.

Was stört Sie daran?

Die Länder der Afrikanischen Union haben sich zum Ziel gesetzt, mindestens 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts in die Forschung zu investieren. Auch wenn der Wille da ist: Angesichts der enormen Verschuldungsquoten und zusätzlicher dringlicher Aufgaben, mit denen diese Länder konfrontiert sind – wie die Klimakrise, Ernährungsunsicherheit und Armut – ist das eine Herkulesaufgabe. Und der Aufbau von Wissenssystemen braucht Zeit. Wir dürfen nicht vergessen: Die erste Universität in der heutigen Schweiz wurde 1460 in Basel gegründet.

Deshalb ist es nur folgerichtig, wenn der globale Norden, der sehr stark vom globalen Süden profitiert hat und immer noch profitiert, im Sinne der Solidarität – aber auch des Eigeninteresses –die Länder des globalen Südens bei diesem Vorhaben unterstützt. Und es stellt sich die Frage: Stünde es der Schweiz nicht gut an, wenn sie in ihrer internationalen Zusammenarbeit eine Priorität bei der Forschungszusammenarbeit setzen würde, die den Ländern des globalen Südens Möglichkeiten gäbe, eigene Wissenschaftssysteme als Basis für eine selbstbestimmte Entwicklung aufzubauen? 

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«Auch die Mehrheit der schweizerischen Wissenschaft will möglichst wenig am heutigen System ändern»

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Was soll die Schweiz konkret tun?

Sicherlich rasch ihre Fördergefässe für die Zusammenarbeit mit Forschenden aus dem Ausland öffnen. Weiter braucht es neue Instrumente und Formen der Zusammenarbeit, die langfristig ausgerichtet sind. Dafür würden sich institutionelle Kooperationen eignen. Und natürlich wäre es sehr vorteilhaft und wünschenswert, wenn die Schweiz als einer der Top-Wissenschaftsstandorte, der sie nach wie vor ist, mehr Mittel für die anwendungsorientierte und transdisziplinäre Forschung in und mit dem Süden zur Verfügung stellen würde, damit wir gemeinsam an möglichen Lösungen für die globalen Herausforderungen arbeiten können.

Das ist doch Wunschdenken.

Nicht unbedingt. Allerdings steht die Wissenschaft in der Schweiz hier selbst noch vor etlichen Aufgaben. Die Mehrheit der Wissenschafter*innen will möglichst wenig am heutigen System ändern, weil das zu Umlagerungen von den Mitteln für die Grundlagen- hin zur anwendungsorientierten Forschung führen könnte. Würde der Verbund aller Schweizer Universitäten, Fach- und pädagogischer Hochschulen, Swissuniversities, ein glaubwürdiges Bekenntnis zugunsten der Nachhaltigkeitsforschung ablegen, könnte Bewegung in die Sache kommen.

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«Für eine selbstbestimmte Entwicklung des Südens müssen wir diesem auch vermehrt das Agenda-Setting überlassen, wo und wie er investieren will»

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Sie sprechen vom Aufbau eigener Wissens- und Wissenschaftssystemen im Süden. Warum sollen diese anders sein als unseres?

Wissen schafft nur Mehrwert, wenn es die Gegebenheiten und Bedürfnisse berücksichtigt. Deshalb muss Wissenschaft der jeweiligen Gesellschaft angepasst und in ihr verankert sein. Mit dem traditionellen Wissen verfügen die meisten Länder des globalen Südens über einen Wissensschatz mit grossem Potenzial. Weil dieses alleine in der heutigen Welt aber nicht mehr reicht, braucht es neue Formen und Herangehensweisen, wie man Wissen produzieren und danach auch kommunizieren – also in die Politik und Gesellschaft einbringen – kann. Mit einer blossen Kopie dessen, was wir machen, hätten die Länder des Südens keine Chance, sich ihren Gegebenheiten entsprechend und selbstbestimmt entwickeln zu können. Allerdings ist die Gefahr, dass sie einfach das westliche Modell übernehmen, durchaus vorhanden.

Das hängt auch damit zusammen, dass der Norden die Wissenschaft dominiert. Die KFPE, deren Präsident Sie bis Ende dieses Jahr noch sind, widmet ihre Jahreskonferenz dem Thema Dekolonialisierung der Forschungszusammenarbeit. An welchen Hebeln gilt es anzusetzen?

Zum einen müssen wir bei uns ein Bewusstsein für die Machtungleichheit schaffen und zum andern anerkennen, dass es Wissenschaftssysteme, Epistemologien und Methoden gibt, die auf anderen Werten beruhen und anders ausgerichtet sind. Und es führt kein Weg daran vorbei: Für eine selbstbestimmte Entwicklung des Südens müssen wir diesem auch vermehrt das Agenda-Setting überlassen – also die Definitionsmacht darüber, wofür und wie er investieren will –, auch wenn das Geld dafür von hier kommt. Gleichzeitig sollten wir uns fragen, ob es jetzt nicht an der Zeit ist, in Wissenschaft und Forschung auch andere Formen als unseren klassischen akademischen Weg anzuerkennen.

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«Wir sind alle gefordert, nach Möglichkeiten zu suchen, wie sich das Ungleichgewicht verringern lässt»

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Sprechen Sie damit auch das PhD-Programm «International Graduate School North-South» an, welches das CDE koordiniert?

Im Moment sind es vorwiegend Hochschulen des globalen Nordens, die den internationalen Forschungsnachwuchs ausbilden. Das ist im Wesentlichen auch bei der IGS North-South so. Ich will damit nicht sagen, dass das schlecht ist. Doch im Endeffekt reproduzieren wir so im Wesentlichen das nördliche Wissenschaftssystem. Dem steht nichts gegenüber, weil andere Formen der Wissensproduktion kaum Unterstützung erhalten haben und deshalb ihre Stärken nicht ausbauen konnten. Hier sind wir alle gefordert, kritisch über die Bücher zu gehen und nach neuen Möglichkeiten zu suchen, wie sich dieses Ungleichgewicht verringern lässt.

Infobox

KFPE-Jahreskonferenz zur Dekolonialisierung von Nord-Süd-Forschungspartnerschaften

An ihrer Jahreskonferenz am 5. Mai 2023 thematisiert die KFPE in Zusammenarbeit mit SUDAC und dem SOR4D-Programm die Dekolonialisierung von Forschungspartnerschaften. Ziel der Konferenz ist es, alle Akteure zusammenzubringen, die an der Debatte über die Entkolonialisierung der Schweizer Forschungszusammenarbeit interessiert sind. Dabei werden verschiedene Perspektiven auf die Entkolonialisierung von Forschungszusammenarbeit vermittelt, unterschiedliche praktische Ansätze vorgestellt und die Diskussionen zwischen den Teilnehmenden angeregt.