«Wir zeigen auf, wie die Schweiz nachhaltigen Agrarhandel stärken könnte»

Die Diskussion kommt auf Hochtouren: Wie gelangen wir zu nachhaltigen Ernährungssystemen? Denn es geht um viel: das Klima, unsere Ernährungssicherheit, Gesundheit, Landwirtschaft, Biodiversität, Fairness. Handelsregeln sind ein wichtiger Hebel, um nachhaltige und vielfältige Ernährungssysteme zu fördern und nicht-nachhaltige zu verhindern, meint Elisabeth Bürgi Bonanomi, Handelsexpertin am CDE. So würde es auch die Bundesverfassung vorsehen. Gemeinsam mit einem Forschungsteam präsentiert sie nun, wie sich entsprechende Regeln völkerrechtskonform gestalten liessen.

«Wenn die Schweiz versucht, ihre Handelspolitik aktiver zu gestalten, kann sie auch einen wichtigen Beitrag zur internationalen Debatte leisten»: Elisabeth Bürgi Bonanomi. Foto: Manu Friederich


Interview: Gaby Allheilig

Sie haben in einem Forschungsprojekt untersucht, wie Staaten – insbesondere die Schweiz – via Handelsregulierung vielfältige Ernährungssysteme fördern können. Warum diese Fragestellung?

Die Schweiz hat sich in einer Volksabstimmung 2017 das Verfassungsziel gesetzt, dafür zu sorgen, dass wir uns alle angemessen ernähren können. Mit Art. 104 a lit.d hat sie sich auch vorgenommen, ihre Handelsbeziehungen so zu gestalten, dass nachhaltige Ernährungssysteme gefördert werden – sowohl im Inland wie im Ausland. Diese Bestimmung wurde, wenn überhaupt, bisher nur am Rand mit Inhalt gefüllt. Deshalb braucht es Ideen und Vorschläge, wie man sie umsetzen kann. Auch aus rechtswissenschaftlicher Sicht bedarf es einer Auseinandersetzung, wie Art. 104 a lit.d genau ausgelegt werden kann. Auf diese beiden Fragen geben wir in unserem Forschungsprojekt Antworten.

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«Es spielt eine Rolle, ob wir mit unserer Nachfrage die Entwaldung forcieren oder nicht»

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Inhaltlich stellt sich trotzdem die Frage: Warum setzt sich die Forschung damit auseinander, wie man mit Handelsmassnahmen nachhaltigen und gerechteren Ernährungssystemen einen Impuls geben kann?

Dahinter steht die Frage: Wie gelingt es uns, die Ernährungssicherheit hier und anderswo sicherzustellen? Dass wir auch im Inland die Bodenfruchtbarkeit erhalten, unsere eigene Produktion möglichst umweltverträglich und diversifiziert aufstellen sowie den Produzent*innen ein gutes Auskommen ermöglichen sollten, ist wichtig. Wir müssen aber unser Ernährungssystem als ein globales verstehen. Was wir importieren – welche Agrarrohstoffe oder verarbeiteten Lebensmittel –, wirkt sich auf die Ernährungssysteme, Produktionsgrundlagen und Produzent*innen in anderen Ländern und letztlich auch wieder auf die unseren aus. Es ist deshalb relevant, auch im zwischenstaatlichen Handel genau hinzuschauen und zu fragen, wie die gehandelten Produkte hergestellt wurden; ob wir mit unserer Nachfrage die Entwaldung forcieren oder die Entwicklung wertvoller Landschaften unterstützen, die Biodiversität nutzen oder zerstören, und ob die beteiligten Menschen ein würdiges Leben führen können oder nicht.

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«Der Bund muss ergänzend zum Privatsektor Massnahmen ergreifen, um Positives zu stärken und Defizite zu verringern»

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Und warum ist es am Staat, sich für nachhaltig hergestellte Produkte einzusetzen und diese zu fördern?

Da die Schweiz sich zum Ziel gesetzt hat, nachhaltige Ernährungssysteme zu fördern, steht der Bund in der Verantwortung, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass dieses Ziel erreicht werden kann. Heute ist es weitgehend den privaten Akteuren überlassen, Wertschöpfungsketten zu verbessern, Produkte mit Labels zu kennzeichnen, etc. Wie sich zeigt, genügen diese Ansätze nicht. So kommt die öffentliche Hand ins Spiel.

Als Konsumentinnen und Konsumenten können wir ja entscheiden, ob wir Bio- und Fairtrade-Produkte kaufen oder nicht.

Es geht nicht darum, dass der Staat private Labels ablösen soll. Vielmehr muss der Bund ergänzend zum Privatsektor Massnahmen ergreifen, um positive Privatinitiativen zu stärken und Defizite zu verringern. Bei den Labels herrscht heute viel Unsicherheit. Die meisten Leute können nicht nachvollziehen, was hinter den Siegeln steht, die sich mit Nachhaltigkeits-Bezeichnungen schmücken. Der Begriff der Nachhaltigkeit ist nicht geschützt, ausserdem gibt es keine öffentliche Qualitätssicherung. Das ist beim Bio-Label anders. Den Begriff «biologisch» darf man nur verwenden, wenn gewisse Kriterien erfüllt sind, die der Bund festgelegt hat. Ein ähnliches System kann die öffentliche Hand bei weiteren Begriffen wählen, die auf die Nachhaltigkeit bezogen sind. In diese Richtung gehen heute auch Forderungen des Konsumentenschutzes sowie von weiteren Kreisen.

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«Um WTO-konform zu sein, muss man die Produktion im Inland und Ausland zusammen denken»

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Vieles, was als nachhaltig bezeichnet wird, ist es schlicht nicht…

Genau. In unserem Forschungsprojekt zeigen wir nicht nur auf, wie der Staat qualitätssichernd auf die Labels einwirken kann. Wir zeigen auch, wie wir Handelsmassnahmen nutzen und gestalten können, um bei uns und in den Partnerländern nachhaltige Ernährungssysteme zu fördern und nicht-nachhaltige zu verhindern. Die Unterscheidung zwischen «nachhaltig» und «nicht-nachhaltig» ist allerdings schwierig. Deshalb haben wir einen etwas anderen Ansatz gewählt: Wir haben untersucht, welche Produktionsweisen besonders wertvoll, aber gleichzeitig verletzlich sind, so dass sie über einen besseren Marktzugang gestärkt werden können; und welche besonders schädlich sind und deshalb weniger gehandelt werden sollten.  

Wollen wir die Importe mit Vorgaben verknüpfen, müssen wir die inländische Produktion jedoch immer mitdenken. Gestützt auf unsere Verpflichtungen, die wir im Rahmen der WTO eingegangen sind, sollten wir dabei nicht-diskriminierend vorgehen. Das bedeutet unter anderem, dass wir konsistent sein und gleichwertige Anreizsysteme und Vorgaben im Inland haben sollten.

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«Wir möchten mit unserem hypothetischen Gesetzesvorschlag die Debatte inspirieren»

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In der Schweiz wurde in den letzten Jahren mehrfach über ähnliche Themen abgestimmt: Von der Palmöl-Frage im Handelsabkommen mit Indonesien über die Pestizid- bis hin zur Massentierhaltungsinitiative. Alle wiesen Elemente für nachhaltige Ernährungssysteme samt entsprechenden Handelsbestimmungen auf. Mit Ausnahme des Indonesien-Abkommens sind sie an der Urne gescheitert. Nun präsentieren Sie einen Gesetzesvorschlag, wie man den Agrarhandel nachhaltig regeln könnte. Wieso denken Sie, dass ein Gesetz es jetzt richten kann?

Wir gehen nicht davon aus, dass unser hypothetischer Gesetzesvorschlag tel quel in die Politik einfliessen wird. Wir möchten jedoch gerne die Debatte inspirieren und konkret aufzeigen, wie die Schweiz in etwa vorgehen könnte. Also: Wie sie ohne allzu grossen bürokratischen Aufwand und möglichst WTO-konform den Agrarhandel differenzierter gestalten könnte.

Ausserdem ging es bei den erwähnten Initiativen nicht eigentlich um Handelsfragen, diese waren vielmehr untergeordnet. Anders beim Referendum zum EFTA-Indonesien-Abkommen, bei dem Zollerleichterungen erstmals an Nachhaltigkeitskriterien gebunden sind, nämlich bei einem Teil des in die Schweiz importierten Palmöls. Und genau dieser Aspekt stand bei der Abstimmung im Zentrum – und ist bei einer Mehrheit der Bevölkerung angekommen.

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«WTO-Mitglieder haben einen gewissen Spielraum, um Produkte je nach Produktionsweise unterschiedlich zu behandeln»

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Die WTO-Regeln bieten also mehr Spielraum, als gerne behauptet wird, und den haben Sie jetzt identifiziert?

Vorneweg: Wir behaupten nicht, dass der hypothetische Gesetzesentwurf vor dem WTO-Schiedsgericht sicher Bestand hätte. Wir haben ihn jedoch so geschrieben, dass er durchkommen könnte. Denn wir haben auch die WTO-Regeln und die Rechtssprechung genau analysiert. Die WTO-Rechtssprechung ist nicht einheitlich und gleichzeitig im Wandel begriffen. Vieles hängt von der konkreten Ausgestaltung der Massnahmen ab, die ein Land trifft. Und auch davon, ob das WTO-Schiedsgericht das bestehende Recht im Streitfall zeitgemäss und mit Blick auf die Nachhaltigkeitsagenda auslegen würde. Anerkannt ist heute jedoch, dass WTO-Mitglieder einen gewissen Spielraum haben, um zwischen Produkten zu unterscheiden, die auf unterschiedliche Art hergestellt wurden. Es gibt aber eine Reihe von Kriterien zu beachten. Unter anderem muss die Massnahme so gestaltet sein, dass sie kontextgerecht ist.

Was ist mit kontextgerecht gemeint?

Dass die Schweiz zum Beispiel von einem kenianischen Lieferanten oder einer chilenischen Kooperative nicht verlangen darf, dass sie 1:1 nach Schweizer Regeln produzieren. Wenn sie aber argumentiert, dass die Produktionsstandards gleichwertig sein müssen, um von gewissen Anreizen profitieren zu können, ist sie auf der sichereren Seite.

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«Die EU will klar in diese Richtung gehen»

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Die Schweiz soll eine Lanze brechen?

Die Schweiz steht nicht alleine da. Es gibt diverse Versuche, den WTO-Spielraum besser auszuschöpfen. So hat beispielsweise die EU in diesem Jahr in einer Studie klar festgehalten, dass sie in diese Richtung gehen will. Sie hat ein Regulierungspaket vorgelegt, das verschiedene solcher Produktedifferenzierungen enthält, darunter die Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten. Wird diese angenommen, wird die EU schon bald kein Soja, Fleisch, Palmöl, Holz, keine Kakaoprodukte und keinen Kaffee mehr importieren, wenn diese mit Abholzung zusammenhängen. Davon werden auch Schweizer Unternehmen betroffen sein, die in die EU exportieren.

In einem anderen Sektor, den Agrotreibstoffen, dürfte die EU allerdings wahrscheinlich bald Gegenwind erhalten, weil sie Palmöl und in der EU produziertes Rapsöl in der Energiepolitik nicht gleichbehandelt. Malaysia und Indonesien haben die EU vor dem WTO-Schiedsgericht eingeklagt, der Entscheid kommt wohl bald. Es würde mich nicht überraschen, wenn die EU verlieren würde, weil das Gesetzespaket Schwachstellen und klassische protektionistische Züge aufweist. Das zeigt, wie wichtig es ist, Produktedifferenzierungen sehr sorgfältig auszugestalten. Genau das haben wir mit unserem Vorschlag versucht: das Thema sehr breit, interdisziplinär und unter Einbezug möglichst vieler Perspektiven anzugehen.

Wenn man differenzieren will, geht es auch um Kriterien, die kontrolliert werden müssen. Zieht das nicht einen riesigen Bürokratieaufwand nach sich?

Nicht wenn man wie in unserem Vorschlag einen partnerschaftlichen statt eines Kontroll-Ansatzes wählt. Ähnliche Verfahren gibt es schon heute, etwa im Bio-Bereich. Hier anerkennt die Schweiz zahlreiche Labels aus der ganzen Welt als gleichwertig. Daran kann man anknüpfen und die Verfahren weiterentwickeln.

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«Wir machen angewandte Wissenschaft, aber keine Politik»

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Sie haben die Frage, wie sich nachhaltiger Agrarhandel gestalten lässt, im Team aus verschiedenen Perspektiven und Disziplinen betrachtet. Mit dem hypothetischen Gesetzesvorschlag gehen Sie aber noch einen Schritt weiter. Ist es die Aufgabe der Wissenschaft, der Verwaltung und Politik aufzuzeigen, was sie tun sollte?

Wir machen angewandte Wissenschaft, aber keine Politik. Forschungsgelder werden immer öfter an die Bedingung geknüpft, dass das erworbene Wissen auch in die öffentliche Debatte und den politischen Prozess einfliessen soll. Das Projekt ist in das Programm Nachhaltige Wirtschaft des Schweizerischen Nationalfonds eingebettet, der solche innovativen Forschungsansätze ermöglicht und fördert. Damit sind wir gehalten, unsere Erkenntnisse so zu präsentieren, dass sie auch gut zugänglich sind und leicht verstanden werden. Deshalb haben wir unsere Synthese sehr konkret in den hypothetische Gesetzesvorschlag gefasst, in der Hoffnung, dass die Arbeit dann zugänglicher ist.

Wie findet der Vorschlag jetzt den Weg in die politische Debatte?

Wir diskutieren ihn an der Schlusskonferenzmit den verschiedensten Akteuren. Das Interesse daran ist gross. Was daraus wird, liegt nicht mehr in unseren Händen. Wir bearbeiten das Thema jedoch in anderen Projekten weiter und versuchen es, auch auf die europäische und internationale Ebene zu tragen. Da tut sich punkto Handels- und Nachhaltigkeits-Agenda im Moment sehr viel. Wenn die Schweiz versucht, ihre Handelspolitik aktiver zu gestalten, kann sie auch einen wichtigen Beitrag zur internationalen Debatte leisten.

Forschungsprojekt und hypothetisches Bundesgesetz über nachhaltigen Agrarhandel

Ein interdisziplinär zusammengesetztes Forschungsteam von CDE, dem Institut für Föderalismus der Universität Fribourg, Agroscope, Ekolibrium und der Universität Basel hat zahlreiche Studien erarbeitet, die verschiedene Aspekte der Handelsdifferenzierung beleuchten. Das «hypothetische Bundesgesetz über nachhaltigen Agrarhandel» ist die Synthesearbeit. Das Projekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert.

Hypothtisches Bundesgesetz über nachhaltigen Agrarhandel (PDF, 296KB)