Traditionelle Bewässerung in Europa als Kulturerbe

Course on building traditional irrigation infrastructure in the Upper Valais
Suonen-Baukurs im Oberwallis, Schweiz. Foto: Nico Renggli


Die traditionelle Bewässerung ist eine jahrhundertealte Praxis, die ein optimales Wachstum der Kulturpflanzen anstrebt. In den Ebenen wie auch an Hanglagen nutzt sie gezielt die Schwerkraft und manuell angelegte Infrastrukturen wie Kanäle und Gräben, um Wasser aus Quellen, Gletschern oder Bächen näher an bewirtschaftete Flächen zu führen.

Durch Stauung des Wassers wird ein Überlauf geschaffen. Damit können landwirtschaftliche Flächen berieselt werden. Gleichzeitig wird so auch eine Bodenbildung und Düngewirkung erzielt. Die Bewässerung ist eine aufwändige, auf grosser Erfahrung beruhende Tätigkeit.

Mehr als nur Bereitstellung von Wasser

Die Praxis der traditionellen Bewässerung geht aber weit über die reine Bereitstellung – Fassung, Weiterleitung und Verteilung – von Wasser hinaus: Sie ist ein komplexes sozio-ökologisches System, bei dem Faktoren wie kollektive Organisationsformen mit festgelegten Regeln oder Praktiken ebenso wichtig sind. Dazu zählen:

  • Zuteilung des Wassers,
  • Rechte und Pflichten der Nutzenden,
  • die stete Erneuerung des über Generationen weitergegebenen Wissens,
  • die kulturelle Verankerung in lokalen und regionalen Identitäten und Traditionen.

Mosaik von Landschaften und Lebensräumen

Nebst ihrer primären landwirtschaftlichen Bedeutung hat die traditionelle Bewässerung viele weitere Funktionen. Dank dem Bau von Kanälen, Schleusen oder Schöpfrädern und der Stau- oder Hangbewässerung entstand vielerorts ein Mosaik von trockenen und feuchteren Standorten, artenreichen Flächen und eine Vielzahl von Lebensräumen und Landschaftsqualitäten. Die Bewässerungslandschaften bieten zudem ein attraktives Landschaftserlebnis und werden entsprechend auch vermehrt touristisch genutzt.

Wichtige Funktionen für Berggebiete

In gebirgigen Regionen befeuchten Wasserkanäle den Bergwald und stabilisieren dadurch die Hänge, liefern Wasser zur Waldbrandbekämpfung und dienen durch die Regulierung und Ableitung von Oberflächenwasser der Hochwasserprävention.

Die spektakulären Bauten, die meist gemeinschaftlich organisierte Bewirtschaftung und die traditionelle Technik der Hangbewässerung sind aber auch wertvolle Zeugen der Kulturgeschichte. Sie haben daher eine wichtige Bedeutung für die regionale Identität und sind ein wertvolles Kulturerbe.

Immaterielles Kulturerbe der UNESCO

Die UNESCO hat am 5. Dezember 2023 das umfangreiche Wissen rund um traditionelle Bewässerung in die «Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit» eingetragen. Beteiligte Länder sind Belgien, Deutschland, Italien, Luxemburg, Österreich, die Niederlande und die Schweiz.

Flooded meadows
Die Wässermatten (im Oberaargau, Schweiz) werden temporär für Bewässerung und Düngung geflutet.. Foto: Werner Stirnimann

Forschung zur traditionellen Bewässerung

Am UNESCO Chair «Natur- und Kulturerbe zur nachhaltigen Entwicklung von Berggebieten» des CDE, Universität Bern, und in Zusammenarbeit mit einem grossen schweizerischen und internationalen Netzwerk wird eine breite inter- und transdisziplinäre wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Bewässerung und den damit verbundenen Themen der nachhaltigen Ressourcennutzung und der Gouvernanz von Gemeingütern (commons) angestrebt.

Im Fokus der Forschungsarbeiten stehen folgende Fragen:

  • Was lässt sich von der traditionellen Bewässerung als «kulturelle Praxis» für aktuelle Herausforderungen in der nachhaltigen Ressourcennutzung und Regionalentwicklung lernen?
  • Welche Rolle spielen Weltanschauung, Werte, Wissen, Macht, Gerechtigkeit sowie soziale und kulturelle Praktiken in Organisationen der traditionellen Bewässerung?
  • Welche Formen der Gouvernanz von Gemeingütern (commons) haben zum Erfolg der Bewässerungssysteme beigetragen und welche tragen heute dazu bei?
  • Wie können traditionelle Bewässerungssysteme nachhaltig genutzt und erhalten werden?
Traditional slope irrigation in the Upper Valais
Traditionelle Hangbewässerung im Oberwallis. Foto: SL-FP & SchweizTourismus
Infobox
Weitere Informationen

Projekt-Website

Finanzierung (in der Schweiz) 

Bundesamt für Kultur BAK

Partner

Stiftung Landschaftsschutz Schweiz 

Internationales Zentrum der traditionellen Bewässerung in Europa IZTB 

Lokale Partnerorganisationen in der Schweiz, in Deutschland, Belgien, Luxemburg, Italien, Österreich, Frankreich und in den Niederlanden

Kontakt

PD Dr. Theresa Tribaldos

Publikation

Bär R, Liechti K. 2020. Traditionelle Bewässerung – ein Kulturerbe mit Zukunft? in der Serie “Einblicke – Ausblicke”