«Der stark lokale Charakter der Artenvielfalt ist eine Chance»

Über ein Drittel der Pflanzen-, Tier- und Pilzarten der Schweiz sind bedroht. Mit verschiedenen Instrumenten versuchen Bund, Kantone und Gemeinden den Artenschwund zu stoppen – bislang ohne namhaften Erfolg. Ist es einfach Politikversagen? CDE-Wissenschaftlerin Astrid Zabel über die Gründe, warum sich Biodiversitätsziele oft nicht einstellen, und zur Frage, welche Instrumente den Artenschutz fördern können.

«Der Forschungsbedarf, um die Biodiversitätsrisiken von Investitionen zu beurteilen, ist gross»: Astrid Zabel. Foto: CDE


Interview: Gaby Allheilig

Astrid Zabel, die Schweiz fördert die Biodiversität jährlich mit Hunderten von Millionen Franken. Trotzdem nimmt auch hier der Artenschwund immer bedrohlichere Ausmasse an. Was läuft falsch?

Die bisherigen Programme und Massnahmen konnten den Artenschwund nicht aufhalten. Wir wissen aber nicht, wie es ohne sie bestellt wäre. Zudem ist es generell schwierig zu belegen, wie sich eine Massnahme auf die Biodiversität genau auswirkt. Denn Ökosysteme sind komplex, ebenso die anthropogenen Einflüsse: Das erschwert es, den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung einer Massnahme eindeutig nachzuvollziehen.

Aber irgendetwas läuft ja falsch.

Es gibt viele Gründe, warum sich erhoffte Biodiversitätsziele oft nicht einstellen. Nehmen wir die Input-basierten finanziellen Anreize – ein Klassiker in der europäischen Agrarpolitik. Eines der Beispiele sind die Zahlungen, die Landwirte erhalten, wenn sie weniger Dünger ausbringen. Wenn die Böden von früher her aber noch voll mit Dünger bzw. Nährstoffen sind, ergibt sich kurzfristig keine messbare Wirkung auf die Artenvielfalt.

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«Wenn man verschiedene Instrumente stapelt, kann einiges schiefgehen»

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Gibt es noch andere Beispiele?

Ein anderer Ansatz besteht darin, die finanziellen Beiträge von konkreten Ergebnissen abhängig zu machen. Auch das kann zu Problemen führen. Dann nämlich, wenn man einen Indikator wählt, der für sich genommen zwar gute Resultate bringt, mit dem man jedoch das eigentliche Ziel auch verfehlen kann. In Indien etwa gab es vor Langem ein Programm, mit dem man gefährliche Schlangen dezimieren wollte. Brachte man den Kopf einer toten Schlange, erhielt man eine Prämie. Diese war als Anreiz gedacht, damit die Leute die Schlangen jagen. Aber stattdessen haben sie sie gezüchtet…

Funktioniert es besser, wenn man für dasselbe Ziel verschiedene Instrumente einsetzt?

Auch da kann einiges schiefgehen, zum Beispiel, wenn man verschiedene politische Instrumente stapelt. Also neue hinzufügt, ohne zu berücksichtigen, dass es noch andere gibt, welche die Wirksamkeit der neu eingeführten Instrumente beeinträchtigen. In Schweden schuf man einen Auktionsmechanismus, mit dem man private Waldbesitzer dazu bringen wollte, artenreiche Bestände für den Biodiversitätsschutz auszuscheiden. Den Maximalbeitrag, den Waldbesitzer so erhalten konnten, hat man gedeckelt. Gleichzeitig gab es aber weiterhin ein anderes, früher eingeführtes Instrument: Der Staat kann die Besitzer von besonders schützenswerten Waldgebieten enteignen und sie dafür entschädigen. Weil dieser Beitrag viel höher war als die maximale Summe aus einer Auktion, meldeten sich nur ganz wenige für das Auktionsprogramm an.

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«Man muss zügig darauf hinarbeiten, die negativen Auswirkungen gewisser Subventionen zu beseitigen»

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In der Schweiz gibt es laut einer Studie der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 162 Subventionen, die der Artenvielfalt schaden (siehe Ende des Interviews). Diese belaufen sich auf einen Betrag von rund 40 Milliarden Franken. Wäre es nicht am wirksamsten und kostengünstigsten, sie abzuschaffen?

Eine abrupte Abschaffung der in der Studie gelisteten Subventionen erachte ich nicht als sinnvoll. Das wird von den Studien-Autor*innen so auch nicht gefordert. Denn oft ist nicht klar, ob sich die Abschaffung einer Subvention zwangsläufig positiv auf die Biodiversität auswirkt. Vielmehr muss man zügig und engagiert darauf hinarbeiten, die negativen Auswirkungen dieser Subventionen zu beseitigen. Wichtig ist, dass man die längerfristigen Effekte mit einbezieht, wenn man beurteilt, ob solche Lenkungsmassnahmen abzuschaffen oder umzugestalten sind.

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«Wenn die Betroffenen die Massnahmen nicht mittragen, ist der Biodiversität nicht gedient»

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Ein wichtiger Hebel, um die Biodiversität zu fördern, sind der Erhalt von ökologisch wertvollen Lebensräumen. Sie untersuchen, wie sich diese regional am wirksamsten vernetzen lassen. Zu welchem Schluss gelangen Sie?

In der Schweiz ist die ökologische Infrastruktur noch in Planung. Aber aus den Erfahrungen in anderen Ländern wissen wir, dass es wesentlich zum Erfolg beitragen kann, wenn man die betroffenen Akteure mit an Bord holt. In einem gemeinsamen Lernprozess muss man die Instrumente bestimmen und daran tüfteln, wie sie am besten funktionieren. Je breiter und vielfältiger solche Stakeholder-Gruppen sind, umso besser sind die Massnahmen abgestützt.

Verhandlungsprozesse dauern lange und es besteht auch die Möglichkeit, dass man zu keiner gemeinsamen Lösung kommt. Ist das angesichts der Dringlichkeit, den Artenschwund zu stoppen, der richtige Weg?

Man wird nicht sofort die optimale Lösung finden, sofern es eine solche überhaupt gibt. Und ja, es kann lange dauern. Denn es ist wichtig zuzulassen, dass etwas misslingen kann. Mit Top-Down-Ansätzen liesse sich vielleicht schneller etwas umsetzen. Aber wenn es die Betroffenen nicht mittragen, ist der Biodiversität nicht gedient.

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«In den letzten Jahren hat in der Wirtschaft ein Umdenken stattgefunden»

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Im Vorfeld der UNO-Biodiversitätskonferenz werden auch Instrumente diskutiert, die den Finanzsektor betreffen, um den Schutz der Biodiversität besser und vielleicht auch schneller zu fördern. Was ist der Stand der Dinge?

Diese Diskussionen sind sehr spannend. Frankreich zum Beispiel hat im Frühjahr 2021 ein neues Gesetz verabschiedet, wonach bei Finanzinvestitionen die Biodiversitätsrisiken auszuweisen sind. Das ist ein wichtiger Fortschritt. Man schafft so ein Bewusstsein dafür, welche Auswirkungen landbasierte Investitionen – wie in Minen oder in die Landwirtschaft – auf die Biodiversität haben. Auf europäischer Ebene und in der Schweiz ist man daran, entsprechende Tools zu entwickeln. Denn neben der Reputation, die dabei sicher auch eine Rolle spielt, gibt es ein zunehmendes Verständnis innerhalb des Finanzsektors dafür, wie abhängig die Wirtschaft nicht nur vom Klima sondern auch von der Biodiversität ist. In den letzten Jahren hat da ein Umdenken stattgefunden.

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«Man darf nicht ausblenden, dass Anleger aus anderen Staaten einspringen könnten»

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Analysen zeigen, dass die Finanzbranche noch sehr grossen Aufholbedarf in Sachen Transparenz hat. Gerade bei den Landdeals kann man sich fragen: Wie will man eine Art Umweltverträglichkeitstest durchführen, solange man oft nicht einmal weiss, wo und wofür investiert wird?

In Sachen Biodiversität stecken die Entwicklungen tatsächlich noch in den Kinderschuhen – insbesondere auch in den Methoden, mit denen sich die Risiken von Investitionen beurteilen lassen. Zudem ist die Datenlage oft dünn. Man darf aber auch nicht ausblenden, dass Anleger aus anderen Staaten einspringen könnten, wenn sich die Europäer von Investitionen abwenden, die mit hohen Risiken für die Biodiversität behaftet sind. Da besteht noch grosser Forschungsbedarf, wie man das gesamthaft angehen könnte, ohne dass es zu Verschiebungen kommt, die netto Null Effekt haben. Trotzdem finde ich es extrem positiv, dass sich in Europa jetzt etwas tut.

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«Das Risiko besteht, dass man Investitionen punkto Artenschutz nur mit westlichen Werten misst»

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Selbst wenn Europa vorwärts macht: Die Länder, in denen investiert wird, liegen häufig im Globalen Süden. Wird das in den Debatten berücksichtigt?

Im Moment werden diese Assessment-Tools in Europa und Nordamerika entwickelt. In ein solches Tool steckt man die Finanzdaten, wo und wofür man investiert – und dann kommt, plakativ gesagt, heraus, was gut oder schlecht für die Biodiversität ist. Hinter dieser Beurteilung stehen Werte. Sie beeinflussen das Resultat. Deshalb stellt sich die Frage, wessen Werte dies sind. Es besteht das Risiko, dass es nur westliche Werte sind, die wiederum Anreize schaffen, die im Moment noch schwierig abzuschätzen sind.

Welchen Beitrag kann oder muss die Wissenschaft hier leisten?

Wir können diesen Dialog vorantreiben, damit man über Werte generell und die Werte verschiedener Kulturkreise im Spezifischen spricht. Und wir können die Anreizwirkungen genau untersuchen. Das wären sehr wichtige Beiträge.

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«Biodiversitätsschutz ist räumlich gebunden»

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Riskiert man bei solchen Instrumenten zum Biodiversitätsschutz nicht, dass Länder wie die Schweiz einen bedeutenden Teil der Umsetzung in andere Weltgegenden auslagern, so wie dies schon bei den Klimazielen geschieht?

Biodiversitätsschutz ist räumlich gebunden, während der Klimaschutz zumindest theoretisch überall auf der Welt durchgeführt werden kann. Der stark lokale Charakter der Artenvielfalt ist eine Chance: Wenn man sieht und wahrnimmt, wie sich die direkte Umgebung verändert, wird der direkte Zusammenhang zum eigenem Handeln besser erkannt – hoffentlich. 

Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat gesagt, die Schweiz wolle sich mit andern Ländern dafür einsetzen, bis 2030 global 30 Prozent der Landes- und Meeresflächen für die Biodiversität zu sichern. Wie realistisch ist es, dieses Ziel in der stark zersiedelten Schweiz zu erreichen?

Ambitionierte Ziele sind gut und wichtig. Die Frage ist, wie sie auf nationaler Ebene umgesetzt werden. Die wohl grösste Gefahr ist, dass man die Ziele bei der Umsetzung verwässert – also Flächen dazu rechnet, die keine sehr hohe Artenvielfalt mehr aufweisen.  

 

Weitere Infos zum Thema

Biodiversitätsschädigende Subventionen in der Schweiz, Grundlagenstudie WSL

Forschungsprojekt am CDE: Umweltpolitik für ökologische Infrastrukturen in ländlichen Gebieten (SMARAGD)

Factsheets zur Biodiversität der schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften

UNO-Biodiversitätskonferenz

Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt, auch Biodiversitätskonvention, ist das wichtigste internationale Abkommen zum Schutz der Biodiversität. 2010 wurden an der 10. Konferenz der Vertragsstaaten die Aichi-Ziele verabschiedet, die bis 2020 hätten erreicht werden sollen – aber klar verfehlt wurden. An der 15. Vertragsstaatenkonferenz (COP15) sollte die Nachfolgevereinbarung der Aichi-Ziele verabschiedet werden. Ursprünglich war die COP15 für Oktober 2020 in Kunming, China, geplant. Wegen der Covid-19-Pandemie wurde sie auf Oktober 2021 verschoben. Ein erster Teil der Verhandlungen fand dann als Videokonferenz statt und führte zu einer wenig konkreten Erklärung, bei welcher der Schutz von 30 Prozent der Erdfläche eine zentrale Rolle spielt. Im März 2022 sollen die Verhandlungen in Genf fortgesetzt werden. Danach soll das Nachfolgeabkommen der Aichi-Ziele im April / Mai 2022 bei einem Präsenztreffen in China verabschiedet werden.

Serie zur Konferenz

Das Centre for Development and Environment (CDE) und die Wyss Academy for Nature der Universität Bern beleuchten in Interviews mit ihren Expert*innen einige der wichtigsten Aspekte der anstehenden Verhandlungen. In Ergänzung dazu möchten wir auch auf die Präsentationen der Online-Tagungen «Swiss Forum on Conservation Biology» SWIFCOB21 und SWIFCOB22 des Forums Biodiversität Schweiz der SCNAT verweisen.